Leitsatz
Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht zulässig, wenn der mit ihr angegriffene Verwaltungsakt sich schon vor der Klageerhebung erledigt hatte und die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht Voraussetzung dafür ist, dass der Kläger einen effektiven Rechtsschutz erhält.
Normenkette
§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO, § 361 AO, § 237 AO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, betreibt ein Dienstleistungsunternehmen. Im Anschluss an eine Außenprüfung wurde streitig, ob im Zusammenhang mit bestimmten Aufwendungen ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden war. Das FA nahm dies an und erließ u.a. für das Streitjahr (1996) entsprechende Steuerbescheide.
Die Klägerin legte gegen diese Bescheide Einspruch ein. Daraufhin hob das FA die Vollziehung der mit dem Einspruch angefochtenen Bescheide mit Wirkung vom 02.06.2006 bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch auf. In dem dazu erlassenen Bescheid des FA heißt es u.a., "die Aufhebung der Vollziehung" habe "keinen Einfluss auf einen eventuellen Erlassantrag bezüglich der bei einem Obsiegen der Finanzverwaltung festzusetzenden Zinsen". Mit Einspruchsentscheidung vom 29.06.2005 wies das FA den Einspruch zurück; über die daraufhin erhobene Klage hat das FG noch nicht entschieden. Nach Erhebung der Klage in der Hauptsache hat das FA die Vollziehung der angefochtenen Bescheide mit Verfügung vom 04.08.2005 bis zum Ablauf eines Monats nach Beendigung jenes Verfahrens ausgesetzt. Noch während des laufenden Einspruchsverfahrens wandte sich die Klägerin gegen die vom FA verfügte Aufhebung der Vollziehung. Das FA sah darin einen Einspruch und verwarf diesen als unzulässig. Daraufhin erhob die Klägerin am 10.01.2006 eine Klage beim FG, mit der sie zunächst begehrte, den Bescheid über die Aufhebung der Vollziehung aufzuheben.
In der mündlichen Verhandlung beim FG stellte die Klägerin demgegenüber den Antrag, festzustellen, dass der Bescheid über die Aufhebung der Vollziehung rechtswidrig gewesen sei. Diesem Begehren folgte das FG (EFG 2006, 1225).
Entscheidung
Aus Sicht des BFH fehlte der Klägerin das für die erstrebte Feststellung erforderliche besondere Feststellungsinteresse. Damit war die Klage unzulässig.
Auch auf eine drohende Wiederholungsgefahr könne sich die Klägerin nicht berufen. Eine solche sei zwar nicht von der Hand zu weisen. Jedoch habe sich diese Gefahr mit der erneuten AdV vom 04.08.2005 bereits verwirklicht gehabt. Unter solchen Umständen sei jedoch die erste Verfügung erledigt und die neue Verfügung anzugreifen gewesen. Das Gebot der effektiven Rechtsschutzverwirklichung erfordere die (ausnahmsweise) Fortsetzungsfeststellungsklage nicht; das mögliche Anfechtungsverfahren habe Vorrang.
Hinweis
Es handelt sich im Ergebnis um eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung, die sich im Kern auf das Folgende zusammenfassen lässt:
1. Wendet sich ein Steuerpflichtiger mit Einspruch und (Anfechtungs-)Klage gegen einen Verwaltungsakt und erledigt sich dieser im Lauf des Klageverfahrens, dann belässt § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO die Möglichkeit, den (bisherigen) Anfechtungsantrag auf einen Feststellungsantrag umzustellen. Unnötiger Aufwand – wie der abermalige Einspruch und die abermalige Klageerhebung – wird vermieden.
Es liegt auf der Hand, dass eine solche Verfahrenskonstellation auf Ausnahmefälle beschränkt ist. Eine derartige sog. Fortsetzungsfeststellungsklage erfordert deswegen ein besonderes (zusätzliches) Feststellungsinteresse. Nur dann besteht (verfahrensökonomischer) Anlass, das Klageverfahren voranzutreiben und dem Kläger besagten "Aufwand" nicht abzuverlangen.
2. Wann liegt ein solches besonderes Feststellungsinteresse vor?
"Berechtigtes Interesse" i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art. Dieses kann sich zum einen daraus ergeben, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit die Voraussetzung für den Eintritt einer vom Kläger erstrebten weiteren Rechtsfolge ist. Zum anderen kann es daraus abzuleiten sein, dass ein konkreter Anlass für die Annahme besteht, das FA werde die vom Kläger für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft wiederholen. (Man denke hier an die erstrebte Eintragung einer Abzugsposition im LSt-Freistellungsverfahren.) Schließlich kann es unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung sowie deshalb bestehen, weil die begehrte Feststellung voraussichtlich in einem beabsichtigten und nicht völlig aussichtslosen Schadenersatzprozess erheblich sein wird.
3. Im Urteilsfall ging es der Klägerin nun darum, eine vom FA "amtsseitig" verfügte AdV eines Steuerbescheids zu beseitigen, und zwar wegen der im Unterliegensfall drohenden Aussetzungszinsen gem. § 237 AO. In Anbetracht des gesetzlich festgelegten, nicht unbedingt marktgerechten Zinsfußes von 6 % kann es sich nämlich bei einem niedrigen Zins-Marktniveau als "wirtschaftlicher" herausstellen, auf die AdV zu verzichten und stattdessen die festgesetzte...