Leitsatz
Leistungen eines Rechtsanwalts gegenüber Nichterwerbstätigen im Rahmen eines Lotsendienstes für Gründungswillige sind nicht umsatzsteuerfrei.
Normenkette
§ 4 Nr. 21 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, i und j EGRL 112/2016 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionskläger, ein Rechtsanwalt, beriet neben seiner Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt im Auftrag einer GmbH Existenzgründer (Gründungswillige). Die Verträge sahen eine mehrere Stunden umfassende qualifizierende juristische Beratung der in den Verträgen namentlich aufgeführten Gründungswilligen vor, bei denen es vorwiegend um zivilrechtliche und wirtschaftsrechtliche Themen gehen sollte. Die Leistungen waren ausdrücklich nur für die Zeit vor der von den Beratenen geplanten Unternehmensgründung zu erbringen. Der Kläger erhielt von der GmbH eine Vergütung von 50 EUR pro Stunde.
Den Vereinbarungen zwischen der GmbH und dem Kläger lag eine vom Brandenburgischen Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie erlassene "Richtlinie ... zur Förderung der qualifizierenden Beratung von Gründungswilligen in der Vorgründungsphase, von Existenzgründerinnen und -gründern in der Startphase sowie bei der Begleitung von Unternehmensnachfolgen" vom 24.1.2007 (Amtsblatt für Brandenburg 2007 Nr. 9, 524) zugrunde. Danach gewährte das Land Brandenburg die Finanzierung der als "Lotsendienst" bezeichneten Maßnahmen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sowie eigenen Haushaltsmitteln.
Parallel zu den zuvor beschriebenen Qualifizierungsleistungen durch externe, regional gegliederte Lotsendienste sah die Richtlinie auch vor, dass an den Hochschulen des Landes Brandenburg "Lotsendienste" mit dem entsprechenden Tätigkeitsfeld (Vorgründungsberatung gründungswilliger Studenten und Absolventen) eingerichtet wurden. Diese Hochschul-Lotsendienste sollten u.a. auch in vergleichbarer Art und Weise die vom Kläger durchgeführten Aufgaben wahrnehmen. Diese universitären "Lotsendienste" werden seit 2007 für die Teilnehmer kostenlos angeboten.
Der Kläger sah die Umsätze aus der Tätigkeit im Rahmen des "Lotsendienstes" als nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG oder Art. 132 Abs. 1 Buchst. g oder j MwStSystRL steuerfrei an. Das FA unterwarf die Umsätze in den USt-Jahresbescheiden für 2009 und 2010 der USt. Der Einspruch blieb insoweit erfolglos.
Das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.3.2016, 2 K 2320/12, Haufe-Index 9471799, EFG 2016, 1124) gab der Klage nur aus anderen Gründen teilweise statt und wies sie im Übrigen ab. Es vertrat die Auffassung, dass die Beratungsleistungen des Klägers nicht steuerfrei seien. Weder lägen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG vor noch komme eine USt-Befreiung gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, i oder j der MwStSystRL in Betracht.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des Klägers, mit der dieser die Verletzung von § 4 Nr. 21 UStG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. i, g und j MwStSystRL gerügt hatte, als unbegründet zurück.
Die Anwendung des § 4 Nr. 21 UStG schied aus, weil die zuständige Landesbehörde mit Bescheid vom 20.3.2012 gegenüber der GmbH die Erteilung einer Bescheinigung abgelehnt hatte. Der Einwand des Klägers, dass dieser Bescheid fehlerhaft oder sogar nichtig sei, griff nicht durch. Der Kläger hätte nach Auffassung des BFH insoweit gegen den ablehnenden Bescheid vorgehen können (und müssen).
Die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g und i MwStSystRL schied nach Auffassung des BFH aus, weil der Kläger keine anerkannte Einrichtung sei.
Die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL verneinte der BFH mit der Begründung, dass der Kläger nicht Träger der Bildungseinrichtung war, sondern die GmbH.
Hinweis
Rechtsanwälte erteilen teilweise neben ihrer eigentlichen anwaltlichen Tätigkeit Unterricht. Diese Leistungen können umsatzsteuerfrei sein.
1. Nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbstständiger Lehrer an privaten Schulen und anderen allgemein- oder berufsbildenden Einrichtungen steuerfrei, soweit diese die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Buchst. a UStG erfüllen. Nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG ist u.a. erforderlich, dass die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass u.a. auf einen Beruf ordnungsgemäß vorbereitet wird. Die Bescheinigung i.S.d. § 4 Nr. 21 UStG ist ein Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO, der sowohl die Finanzbehörden als auch die Gerichte bindet (BFH, Urteil vom 28.5.2013, XI R 35/11, BFH/PR 2013, 420, BStBl II 2013, 879, Rz. 50; BFH, Urteil vom 20.4.2016, XI R 6/14, BFH/PR 2016, 324, BStBl II 2016, 828, Rz. 21). Fehlt eine Bescheinigung, ist eine Unterrichtsleistung nach nationalem Recht nicht steuerfrei.
2. Daneben kommt aber eine Steuerbefreiung von Unterrichtsleistungen auch aufgrund Unionsrechts (vor allem Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, i oder j MwStSystRL) in Betracht.
a) Dabei setzen Art. 132 Abs. 1 Buchst. g (Leistungen der sozialen Sicherheit ode...