Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltendmachung der Geschäftsführerhaftung im Insolvenzverfahren
Leitsatz (amtlich)
Die Geschäftsführerhaftung wird von der Sperrwirkung des § 93 InsO nicht erfasst und kann auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von dem FA mit Haftungsbescheid geltend gemacht werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 191, 69, 34; InsO § 93; HGB § 128
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (EFG 2001, 1177) |
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer einer KG, über deren Vermögen im Jahr 2000 das Regel-Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Mit auf §§ 191, 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977) gestütztem Haftungsbescheid nahm der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) den Antragsteller wegen rückständiger Lohn- und Umsatzsteuern der KG in Anspruch. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte ebenso wie der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) keinen Erfolg.
Deswegen hat der Antragsteller Klage erhoben und gleichzeitig die AdV durch das Finanzgericht (FG) beantragt. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, dass ihn kein grobes Verschulden hinsichtlich der Steuerrückstände treffe und das FA aufgrund der Regelung in § 93 der Insolvenzordnung (InsO) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Geltendmachung etwaiger Haftungsansprüche nicht mehr befugt sei.
Das FG hat dem Antrag in Höhe eines Teilbetrages stattgegeben, da unter Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung bezüglich der Umsatzsteuerrückstände nur von einer anteiligen Haftungsquote auszugehen sei. Im Übrigen hat das FG den Antrag abgelehnt und insbesondere ausgeführt, dass der Inanspruchnahme des Antragstellers durch das FA die Regelung in § 93 InsO nicht entgegenstehe. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2001, 1177 veröffentlichten Beschluss der Vorinstanz verwiesen.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde (§ 128 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Er hält an seiner Rechtsauffassung fest, wonach § 93 InsO einer Haftungsinanspruchnahme durch das FA entgegenstehe, etwaige Haftungsansprüche vielmehr durch den Insolvenzverwalter geltend zu machen seien. Dafür spreche zum einen der Gesetzeswortlaut und zum anderen der erklärte Wille des Gesetzgebers, wie er in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommen sei. Die in der Literatur für zulässig gehaltene Inanspruchnahme des Gesellschafters entgegen § 93 InsO betreffe nur die Fälle, in denen der Gesellschafter aufgrund rechtsgeschäftlich begründeter Sicherungsschuldverhältnisse für Gesellschaftsverbindlichkeiten einzustehen habe. Die §§ 69, 34 AO 1977 normierten demgegenüber ebenso wie § 128 des Handelsgesetzbuches (HGB) eine gesetzliche Haftung. Beide Haftungstatbestände stünden zudem in einfacher Gesetzeskonkurrenz nebeneinander. Auch werde die verschuldensabhängige Haftung gemäß § 69 AO 1977 von der verschuldensunabhängigen Haftung gemäß § 128 HGB seinem materiell-rechtlichen Gehalt nach erfasst. Unterfalle die strengere Haftung gemäß § 128 HGB dem Anwendungsbereich des § 93 InsO, müsse dies erst recht für die Haftung gemäß § 69 AO 1977 gelten. Im Übrigen verstoße die Entscheidung des FG gegen den Grundsatz, wonach Konkursrecht dem Steuerrecht vorgehe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet und daher zurückzuweisen. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides bestehen über den bereits ausgesetzten Betrag hinaus keine ernstlichen Zweifel. Das FG hat daher die weiter gehende AdV des angefochtenen Bescheides zu Recht abgelehnt.
Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht die Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Tatfragen auslösen. Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist für die AdV nicht erforderlich (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23. August 2000 VII B 145, 146/00, BFH/NV 2001, 75). Es ist indes nicht ernstlich zweifelhaft, dass die abgabenrechtliche Haftung gemäß §§ 191, 69, 34 AO 1977 von der Sperrwirkung des § 93 InsO nicht erfasst wird.
Nach § 93 InsO kann die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, wozu u.a. auch die KG zählt (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Die dem § 93 InsO insoweit zukommende Sperrwirkung hindert daher die Gläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG ihre Haftungsansprüche gegen den Gesellschafter selbst geltend zu machen.
Die Sperrwirkung des § 93 InsO ist aber auf die Haftung als Gesellschafter gemäß § 128 HGB beschränkt (vgl. Bartone, Insolvenz des Abgabenschuldners, S. 38 f.; Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, § 94 Rdnr. 70; Karsten Schmidt/Georg Bitter, Doppelberücksichtigung, Ausfallprinzip und Gesellschafterhaftung in der Insolvenz, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ―ZIP― 2000, 1077, 1080, 1082, m.w.N.). Demgegenüber unterliegen Individualansprüche, die eine persönliche Mithaftung des Gesellschafters für Gesellschaftsschulden begründen, nicht der Sperrwirkung des § 93 InsO. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte der Norm sowie aus der Begründung zu § 105 des Regierungsentwurfs ―nunmehr § 93 InsO― (in BTDrucks 12/2443, S. 139 f.). Bereits in dem ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht wird eine Zuweisung von Haftungsansprüchen an die Insolvenzmasse der Gesellschaft aus besonderen Haftungstatbeständen, die sich aus rechtsgeschäftlicher Haftung (Bürgschaft, Kreditauftrag, Schuldbeitritt, Garantievertrag oder harter Patronatserklärung), aus den Grundsätzen der Vertrauenshaftung und aus unerlaubter Handlung ergeben können, abgelehnt. Die Zuweisung von Mithaftungsansprüchen an die Insolvenzmasse sollte danach nur in Betracht kommen, wenn ein Gesellschafter einen besonderen Haftungstatbestand gegenüber allen Gesellschaftsgläubigern verwirklicht hat (vgl. Bundesministerium der Justiz ―BMJ―, Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 444 f.). Diesen Vorgaben wollte der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 93 InsO ersichtlich Rechnung tragen. Denn sowohl in dem Diskussionsentwurf des BMJ (Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts: Diskussionsentwurf, BMJ ―Herausgeber―, 1988, S. B77 zu § 100 ―nunmehr § 93 InsO―) als auch in der späteren inhaltsgleichen Gesetzesbegründung (BTDrucks 12/2443, S. 139 f.) wird nur von der Haftung gemäß § 128 HGB gesprochen. Dass die Benennung der Haftung gemäß § 128 HGB nur beispielhaft erfolgen sollte, ist nach dem Wortlaut der Gesetzesbegründung nicht ersichtlich. Vielmehr kann der ausschließlichen Erwähnung des § 128 HGB entnommen werden, dass der Gesetzgeber die Sperrwirkung des § 93 InsO nur auf die dem § 128 HGB unterfallenden Ansprüche und nicht auf daneben etwaig bestehende Individualhaftungsansprüche erstrecken wollte. § 93 InsO soll dem Umstand Rechnung tragen, dass in § 128 HGB anders als in § 171 HGB eine Regelung fehlt, die den Konkursverwalter im Konkursverfahren (nunmehr Insolvenzverfahren) zur Ausübung der Gläubigeransprüche berechtigt. Dementsprechend wird in dem Diskussionsentwurf des BMJ zu dem Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts von einer Rechtsanalogie (Begründung Allgemeines, S. A40) zu der den Kommanditisten im Insolvenzverfahren betreffenden Regelung in § 171 Abs. 2 HGB gesprochen. § 171 Abs. 2 HGB räumt dem Insolvenzverwalter jedoch nur das Recht zur Geltendmachung der gesellschaftsrechtlichen Forderung gegenüber dem Kommanditisten ein, währenddessen etwaige außergesellschaftsrechtliche Ansprüche von der Sperrwirkung der Norm nicht erfasst werden (so ersichtlich: Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Dezember 1971 II ZR 33/68, BGHZ 58, 72; Karsten Schmidt/Georg Bitter, a.a.O., S. 1082).
Das FA hat die Inanspruchnahme des Antragstellers nicht auf den gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbestand des § 128 HGB, sondern auf den abgabenrechtlichen Haftungstatbestand der §§ 69, 34 AO 1977 gestützt. Dieser abgabenrechtliche Haftungstatbestand setzt eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der steuerlichen Pflichten voraus und hat Schadensersatzcharakter (ständige Senatsrechtsprechung, z.B. Urteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271, m.w.N.). Die auf die §§ 69, 34 AO 1977 gestützte Haftung begründet deshalb eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, die den oben benannten Individualansprüchen aus rechtsgeschäftlicher Haftung, Vertrauenshaftung und insbesondere unerlaubter Handlung vergleichbar ist und ebenso wie diese nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur vom FA und nicht vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann. Dafür spricht schließlich auch, dass der Antragsteller nicht als Gesellschafter in Anspruch genommen wird. Denn die Haftung gemäß §§ 69, 34 AO 1977 knüpft an die Geschäftsführereigenschaft des Antragstellers und nicht an die Gesellschafterstellung an. Dass die Geschäftsführereigenschaft mitunter mit der Gesellschafterstellung zusammenfällt, rechtfertigt eine andere Betrachtung nicht.
Der Einwand des Antragstellers, dass die Beschränkung der Sperrwirkung des § 93 InsO auf die gesellschaftsrechtlichen Ansprüche gemäß § 128 HGB mit dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachten Ziel der Reform nicht zu vereinbaren sei, vermag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Rechtsauslegung zu begründen. Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass § 93 InsO die Insolvenzmasse im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger anreichern, der Möglichkeit der Verschaffung von Sondervorteilen durch einzelne Gläubiger infolge eines schnelleren Zugriffs auf den persönlich haftenden Gesellschafter begegnen und durch den Rückgriff auf einen vermögenden persönlich haftenden Gesellschafter im Insolvenzverfahren zugleich einen Beitrag zur Überwindung der Massearmut leisten soll (BTDrucks 12/2443, S. 140). Diese Begründung verdeutlicht aber lediglich die Motive, die den Gesetzgeber zur Einführung des § 93 InsO veranlasst haben. Der Begründung kann demgegenüber nicht entnommen werden, auf welche Art und Weise und in welchem Umfang der Gesetzgeber sein erklärtes Ziel erreichen will. Insoweit kann unter Berufung auf die gesetzgeberische Intention nicht gleichsam unterstellt werden, dass nunmehr alle Ansprüche gegen den persönlich haftenden Gesellschafter der Sperrwirkung des § 93 InsO unterworfen werden sollten. Dabei verkennt der Senat nicht, dass mangels Erstreckung des § 93 InsO auf konkurrierende Individualhaftungsansprüche der Gesetzeszweck teilweise vereitelt wird; gleichwohl muss es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, inwieweit er dem Gesetzesanliegen durch entsprechende Normierung Rechnung tragen will. Wie oben ausgeführt, hat der Gesetzgeber, wie sich aus der Bezugnahme auf § 128 HGB sowie § 171 Abs. 2 HGB deutlich ergibt, den Anwendungsbereich des § 93 InsO einschränken wollen. Es lassen sich überdies gute Gründe dafür anführen, Gläubiger, denen ein Gesellschafter etwas aus einem von seiner Gesellschafterstellung unabhängigen Rechtsgrund schuldet, gegenüber anderen Gläubigern in der Insolvenz der Gesellschaft zu privilegieren. Dass dem Gesetzeszweck, die Insolvenzmasse zu stärken, durch Einbeziehung sämtlicher konkurrierender Haftungsansprüche besser gedient wäre, rechtfertigt eine erweiternde Auslegung schon deshalb nicht. Die Einbeziehung der auf §§ 69, 34 AO 1977 gestützten Haftung in den Anwendungsbereich des § 93 InsO kann ebenso wenig daraus abgeleitet werden, dass die Geschäftsführerhaftung einen mit Ausnahme des Verschuldens weitgehend identischen materiell-rechtlichen Regelungsbereich wie die Haftung gemäß § 128 HGB aufweist. Denn wie der Antragsteller selbst zutreffend ausgeführt hat, stehen die Haftungstatbestände gemäß §§ 69, 34 AO 1977 und § 128 HGB in einfacher Gesetzeskonkurrenz nebeneinander. Sie sind daher einer differenzierten Regelung im Rahmen des Insolvenzverfahrens zugänglich.
Schließlich kann der Antragsteller sich nicht mit Erfolg auf den Grundsatz "Konkursrecht geht vor Steuerrecht" berufen. Denn dieser Grundsatz setzt eine entsprechende konkurs- bzw. insolvenzrechtliche Regelung voraus. Demgegenüber kann der Grundsatz nicht zur erweiternden Auslegung einer konkurs- bzw. insolvenzrechtlichen Vorschrift herangezogen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 665945 |
BFH/NV 2002, 242 |
BStBl II 2002, 73 |
BFHE 197, 1 |
BFHE 2002, 1 |
BB 2002, 189 |
BB 2002, 447 |
DStRE 2002, 254 |
DStZ 2002, 110 |
HFR 2002, 184 |
StE 2002, 40 |