Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung für eine „mehrjährige“ Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
"Mehrjährig" i.S. des § 34 Abs. 3 EStG a.F. (jetzt: § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) ist eine Tätigkeit, die sich über zwei Veranlagungszeiträume erstreckt, auch dann, wenn sie einen Zeitraum von weniger als zwölf Monaten umfasst.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, unter welchen Voraussetzungen es sich bei einer Nachzahlung von Arbeitslohn um eine Vergütung für eine "mehrjährige" Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes ―EStG― (in der für das Streitjahr 1993 geltenden Fassung ―a.F.―) handelt.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger erzielte in den Jahren 1992 und 1993 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Arbeitgeber des Klägers hatte diesem gegenüber mehrere Kündigungen ausgesprochen, die nach Auffassung des Klägers "letztlich unberechtigt" waren. In Folge der Kündigungen war dem Kläger zum Teil ein verkürzter und zum Teil überhaupt kein Arbeitslohn mehr gezahlt worden. Im April des Streitjahres 1993 schlossen der Kläger und sein Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich. Es wurde vereinbart, dass der Arbeitgeber Nachzahlungen leisten würde, und zwar für die Zeit vom:
- 23. Juni 1992 bis 8. Dezember 1992: |
91 217,84 DM, |
- 9. Dezember 1992 bis 31. Dezember 1992: |
4 881,98 DM, |
- 1. Januar 1993 bis 28. Februar 1993: |
12 735,60 DM. |
Den Gesamtbetrag von 108 835,42 DM erhielt der Kläger im Mai des Streitjahres 1993 in einem Betrag ausgezahlt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) lehnte es ab, die Nachzahlung nach § 34 Abs. 3 EStG als Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit zu behandeln. Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Voraussetzungen der Tarifbegünstigung im Streitfall erfüllt seien. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 649 veröffentlicht worden.
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe § 34 Abs. 3 EStG unzutreffend ausgelegt. Das Tatbestandsmerkmal "mehrjährig" sei nur dann erfüllt, wenn die betreffende Zahlung einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten umfasse.
Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
1. Einkünfte, die die Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit sind, werden nach § 34 Abs. 3 EStG a.F. ermäßigt besteuert.
a) "Mehrjährig" i.S. des § 34 Abs. 3 EStG a.F. ist eine Tätigkeit, wenn sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt (so bereits ―in Abkehr von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs― Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. Mai 1961 VI 107/59 U, BFHE 73, 364, BStBl III 1961, 399; bestätigt durch BFH-Urteile vom 3. Juli 1987 VI R 43/86, BFHE 150, 431, BStBl II 1987, 820, und vom 6. Oktober 1993 I R 98/92, BFH/NV 1994, 775; ebenso: Lindberg in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 34 Rz. 100; Horn in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 34 EStG Anm. 63, m.w.N.; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, § 34 Rz. 40; Gänger in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, § 34 Anm. 27). Das folgt aus dem Sinn und Zweck der Regelung, bei zusammengeballten Vergütungen die Tarifprogression zu mildern. Es soll erreicht werden, dass die steuerliche Belastung für Einkünfte, die dem Steuerpflichtigen in einem Veranlagungszeitraum für die Tätigkeit mehrerer Jahre zufließen, möglichst nicht höher wird, als wenn ihm in jedem Jahr ein Anteil hiervon zugeflossen wäre (s. auch BFH-Urteile vom 10. Juni 1983 VI R 176/80, BFHE 138, 456, BStBl II 1983, 642; vom 17. Februar 1993 I R 119/91, BFH/NV 1993, 593; vom 16. Dezember 1996 VI R 51/96, BFHE 182, 161, BStBl II 1997, 222; ferner: Lindberg in Blümich, a.a.O., § 34 Rz. 89; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 34 Rz. 37). Der Belastungseffekt tritt aber bereits dann ein, wenn Einkünfte, die aus zwei Veranlagungszeiträumen stammen, in einem Veranlagungszeitraum zufließen.
Soweit der erkennende Senat dagegen in seinem ―vom FA angeführten― Urteil vom 16. September 1966 VI 381/65 (BFHE 86, 760, BStBl III 1967, 2) davon ausgeht, Sinn des § 34 Abs. 3 EStG sei es, eine zusätzliche Zahlung für einen "mehr als 12 Monate umfassenden Zeitraum" zu begünstigen, handelt es sich um Ausführungen, die die Entscheidung nicht tragen. Denn es ging dort um eine Tätigkeit, die sich über einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten und damit gleichzeitig auch über mehrere Veranlagungszeiträume erstreckte. Dasselbe gilt für das vom FA ebenfalls angeführte BFH-Urteil vom 11. Juni 1970 VI R 338/67 (BFHE 99, 306, BStBl II 1970, 639).
b) Vergütung "für" eine mehrjährige Tätigkeit kann insbesondere auch eine Lohnnachzahlung für vorangegangene Veranlagungszeiträume sein (BFH-Urteile vom 10. Juni 1983 VI R 106/79, BFHE 138, 454, BStBl II 1983, 575; in BFHE 138, 456, BStBl II 1983, 642; vom 28. September 1984 VI R 48/82, BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117; vom 22. Juli 1993 VI R 104/92, BFHE 171, 555, BStBl II 1993, 795). Dabei steht der Umstand, dass sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können, der Annahme einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nicht entgegen. Voraussetzung ist nur, dass der Zufluss insgesamt mehrere Jahre betrifft (so ausdrücklich BFH-Urteil in BFHE 99, 306, BStBl II 1970, 639).
c) Der Senat geht allerdings auch davon aus, dass eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit im Sinne der Tarifvorschrift nicht schon bei einer bloßen Nachzahlung von im Vorjahr verdienten Vergütungen vorliegt (BFH-Urteil vom 6. Dezember 1991 VI R 135/88, BFH/NV 1992, 381; ebenso: Lindberg in Blümich, a.a.O., § 34 Anm. 111 a.E.). Denn es ist nicht Ziel des § 34 Abs. 3 EStG, jede sich aus dem Zuflussprinzip des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG möglicherweise ergebende steuerliche Mehrbelastung zu mildern. Diese Frage stellt sich im Streitfall jedoch nicht, da sich die im Mai 1993 geleistete Nachzahlung sowohl auf das Vorjahr als auch auf das laufende Jahr bezog und damit auch nicht teilweise als laufender Arbeitslohn (§ 38a Abs. 1 Satz 3 EStG) gezahlt wurde.
2. Vor diesem Hintergrund hat das FG zutreffend entschieden, dass die dem Kläger im Streitjahr 1993 aufgrund des Vergleichs zugeflossene Lohnnachzahlung für den Zeitraum Juni 1992 bis Februar 1993 nach § 34 Abs. 3 EStG a.F. ermäßigt zu besteuern ist; denn die Nachzahlung betraf eine Tätigkeit, die sich über zwei Veranlagungszeiträume erstreckt hat. Es handelt sich demnach um eine Vergütung für eine "mehrjährige" Tätigkeit. Dass sich die Nachzahlung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die sich teilweise dem Streitjahr und teilweise dem Vorjahr zuordnen lassen, steht dem nicht entgegen.
Zu Unrecht beruft sich das FA auf das Urteil des erkennenden Senats in BFH/NV 1992, 381. Dort waren der Klägerin im Streitjahr lediglich Bezüge des Vorjahres nachgezahlt worden. Die Nachzahlung selbst betraf damit nur einen Veranlagungszeitraum. Tatsächlich bestätigen auch die dortigen Ausführungen das vorliegende Urteil; denn in den Entscheidungsgründen heißt es, die betreffenden Einkünfte müssten für sich betrachtet Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit darstellen. Das trifft auf die dem Kläger zugeflossene Nachzahlung zu.
Fundstellen
Haufe-Index 1257614 |
BFH/NV 2005, 135 |
BStBl II 2005, 289 |
BFHE 2005, 573 |
BFHE 206, 573 |
BB 2004, 2678 |
BB 2005, 32 |
DB 2004, 2726 |
DStR 2004, 2092 |
DStRE 2005, 127 |
DStZ 2004, 852 |
HFR 2005, 129 |