Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzungszinsen: Anspruch, Entstehung, Zinslauf
Leitsatz (amtlich)
Der Einspruch gegen einen Steuerbescheid hat insoweit endgültig keinen Erfolg i.S. des § 237 Abs.1 Satz 1 AO 1977 (Aussetzungszinsen), als das Finanzamt dem Begehren, den festgesetzten Steuerbetrag herabzusetzen, im Ergebnis nicht abhilft. Aus welchem Grund der Antrag auf Herabsetzung der festgesetzten Steuer endgültig erfolglos bleibt, ist ohne Bedeutung. Maßgebend ist der endgültig geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des Steuerbescheides ausgesetzt war.
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Aussetzungszinsen entsteht erst mit der endgültigen Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs. Endgültig keinen Erfolg gehabt hat der Rechtsbehelf dann, wenn er durch eine unanfechtbare Entscheidung abgewiesen, vom Rechtsbehelfsführer zurückgenommen worden ist oder der Rechtsbehelfsführer seinen Antrag eingeschränkt hat. Erfüllt der Steuerpflichtige den Steueranspruch vor dem im Aussetzungsbescheid bestimmten Zeitpunkt, endet der Zinslauf bereits mit der Erfüllung (vgl. Literatur).
2. Hat ein Rechtsstreit vor dem 1.1.1977 begonnen und liegt der Zeitpunkt, in dem das Rechtsbehelfsverfahren endgültig ohne Erfolg bleibt, nach dem 31.12.1976, ist die Frage der Aussetzungszinsen ausschließlich nach § 237 AO 1977 zu beurteilen (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 237 Abs. 1 S. 1; EGAO 1977 Art. 97 § 15 Abs. 1 S. 1; AO § 237 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden mit Bescheid vom 4.November 1976 mit einer Steuerschuld von 119 838 DM zur Einkommensteuer 1974 veranlagt. Hiergegen erhoben sie Einspruch mit der Begründung, die vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) nach den §§ 22 Nr.2, 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfaßten Gewinne aus Devisen-Termingeschäften in Höhe von 191 555 DM seien nicht steuerpflichtig. Gleichzeitig baten sie um Aussetzung der Vollziehung der sich daraus ergebenden Mehrbeträge. Das FA entsprach diesem Begehren mit Verfügungen vom 13.Januar 1977 und vom 21.Februar 1978. Ausgesetzt wurden insgesamt Einkommensteuer in Höhe von 95 028 DM, Ergänzungsabgabe in Höhe von 2 851 DM und Stabilitätszuschlag in Höhe von 4 903 DM. Das Einspruchsverfahren ließ das FA bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in einem Parallelverfahren ruhen.
Der Einspruch hatte zum überwiegenden Teil Erfolg. Mit Änderungsbescheid vom 30.November 1982 behandelte das FA die Gewinne aus den Devisen-Termingeschäften als nicht steuerpflichtig. Gleichzeitig erfaßte es im Einverständnis mit den Klägern bisher nicht erklärte Zinserträge in Höhe von 13 565 DM als zusätzliche Einkünfte aus Kapitalvermögen. Diesen Bescheid hat das FA aus hier nicht streitigen Gründen am 28.März 1983 nochmals geändert und die Einkommensteuer auf 29 202 DM, die Ergänzungsabgabe auf 876 DM und den Stabilitätszuschlag auf 1 460,10 DM herabgesetzt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 17.März 1983 setzte das FA Aussetzungszinsen fest. Die Zinsforderung in Höhe von insgesamt 1 668 DM berechnete es für den Zeitraum vom 10.Dezember 1976 bis zum 30.November 1982 nach einem Betrag von insgesamt (Einkommensteuer, Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag) 4 700 DM (abgerundete Differenz zwischen ausgesetztem Betrag und Minderungsbetrag auf Grund des geänderten Einkommensteuerbescheides). Der Einspruch der Kläger gegen den Zinsbescheid blieb ohne Erfolg.
Mit der Klage machten die Kläger weiter geltend, der Zinsbescheid sei rechtswidrig. Sie hätten hinsichtlich der Behandlung der Devisen-Termingeschäfte, deretwegen die Vollziehung ausgesetzt worden sei, in vollem Umfang Erfolg gehabt.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den Zinsbescheid ersatzlos auf. Es vertrat die Auffassung, der Einspruch sei uneingeschränkt erfolgreich gewesen, denn die Kläger hätten den auf den Gewinn aus den Devisen-Termingeschäften entfallenden Steuerbetrag von Anfang an nicht geschuldet. Insoweit hätten sie durch die Aussetzung der Vollziehung keinen Zinsgewinn gehabt, der durch Festsetzung von Aussetzungszinsen hätte korrigiert werden müssen. Die während des Einspruchsverfahrens nacherklärten Kapitaleinkünfte seien nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen und dürften deshalb bei der Frage nach dem Einspruchserfolg nicht berücksichtig werden.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 237 Abs.1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Für die Frage, in welchem Umfang ein außergerichtlicher Rechtsbehelf endgültig erfolglos bleibe, sei allein entscheidend der endgültige Erfolg des Rechtsbehelfs. Der Grund für die teilweise oder vollständige Erfolglosigkeit sei ohne Bedeutung.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß § 237 AO 1977 anzuwenden ist.
Nach § 237 Abs.1 AO 1977 in der bis zum 31.Dezember 1986 geltenden Fassung ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes oder eines Folgebescheides ausgesetzt wurde, zu verzinsen, soweit ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Der Anspruch entsteht nicht schon, wenn der außergerichtliche Rechtsbehelf eingelegt wird, sondern erst mit der endgültigen Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs; erst dann ist der Tatbestand verwirklicht, an den das Gesetz den Anspruch auf Aussetzungszinsen knüpft (§ 38 AO 1977; vgl. zur entsprechenden Vorschrift für Erstattungsbeträge --§ 236 AO 1977-- BFH-Urteile vom 26.April 1985 III R 24/82, BFHE 143, 408, BStBl II 1985, 546; und vom 25.Juli 1989 VII R 39/86, BFHE 157, 322, BStBl II 1989, 821).
Nichts anderes gilt nach der Übergangsregelung des Art.97 § 15 Abs.1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14.Dezember 1976 (BStBl I 1976, 694). Danach entstehen Zinsen für die Zeit nach dem 31.Dezember 1976 nach den Vorschriften der AO 1977. Für einen Rechtsstreit, der --wie im Streitfall-- vor dem 31.Dezember 1976 begonnen und über den Jahreswechsel 1976/1977 fortgedauert hat, ist deshalb entscheidend, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Entstehen des Zinsanspruchs nach dem 31.Dezember 1976 erfüllt sind. Liegt der Zeitpunkt, in dem das Rechtsbehelfsverfahren endgültig ohne Erfolg bleibt, nach dem 31.Dezember 1976, ist die Zinsfrage ausschließlich nach § 237 AO 1977 zu beurteilen (vgl. BFH in BFHE 143, 408, BStBl II 1985, 546; BFHE 157, 322, BStBl II 1989, 821 zu § 236 AO 1977). Im Streitfall ist der Zinsanspruch erst mit Erlaß des dem Rechtsbehelfsbegehren der Kläger im Ergebnis nur zum Teil entsprechenden Änderungsbescheides vom 30.November 1982 --d.h. nach dem 31.Dezember 1976-- entstanden.
2. Entgegen der Auffassung des FG hat der Einspruch teilweise endgültig keinen Erfolg gehabt mit der Folge, daß insoweit der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt wurde, gemäß § 237 Abs.1 AO 1977 zu verzinsen war.
a) "Endgültig keinen Erfolg gehabt" hat der Rechtsbehelf insbesondere dann, wenn er durch unanfechtbare Entscheidung abgewiesen oder vom Rechtsbehelfsführer zurückgenommen worden ist. § 237 Abs.1 Satz 1 AO 1977 meint jede Art der Erledigung (BFH-Beschluß vom 22.Januar 1988 III B 134/86, BFHE 152, 212, 216, BStBl II 1988, 484). Stimmt der Rechtsbehelfsführer einer Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes nach § 172 Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 132 AO 1977 zu, bei der dem Rechtsbehelfsantrag nicht in vollem Umfang stattgegeben wird, bedeutet die Zustimmung eine Einschränkung des Rechtsbehelfsantrages. Auch soweit der Rechtsbehelfsführer seinen Antrag eingeschränkt hat, bleibt der Rechtsbehelf im Ergebnis endgültig erfolglos (Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl. 1990, § 237 AO 1977 Anm.3; Haarmann in Ziemer/ Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Anm.4432; Höllig in Koch, Abgabenordnung, 3.Aufl. 1986, § 237 Anm.8).
b) In welchem Umfang der Rechtsbehelf endgültig keinen Erfolg gehabt hat, richtet sich nach dem Verfahrensgegenstand und dem konkretisierten Rechtsbehelfsbegehren. Verfahrensgegenstand im Einspruchsverfahren ist nicht ein einzelnes Besteuerungsmerkmal oder eine bestimmte zugrunde liegende Rechtsfrage, sondern die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, die von der Finanzbehörde in vollem Umfang (§ 367 Abs.2 AO 1977) zu prüfen ist. Richtet sich --wie im Streitfall-- der Einspruch gegen einen Steuerbescheid, bei dem die Besteuerungsgrundlagen nicht selbständig anfechtbar sind (§ 157 Abs.2 AO 1977), hat der Rechtsbehelf insoweit keinen Erfolg, als das FA dem Begehren, den festgesetzten Steuerbetrag herabzusetzen, im Ergebnis nicht abhilft. Aus welchem Grund der Antrag auf Herabsetzung der festgesetzten Steuer endgültig erfolglos bleibt, ist ohne Bedeutung, weil die Besteuerungsgrundlagen auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 157 Abs.2 AO 1977) nur unselbständiger Teil der Regelung und deshalb nur der Begründung (§ 121 AO 1977) zugeordnet sind (vgl. hierzu die Rechtsprechung zum Verfahrensgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren, vor allem BFH-Beschlüsse vom 17.Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344, und vom 26.November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99). Ist deshalb --wie im Streitfall-- ein Einkommensteuerbescheid angefochten, so ist nach § 237 Abs.1 Satz 1 AO 1977 der Unterschiedsbetrag zwischen den ausgesetzten und den auf Grund bestandskräftiger Festsetzungen geschuldeten Beträgen (im Streitfall Einkommensteuer, Stabilitätszuschlag und Ergänzungsabgabe) ohne Rücksicht auf den Grund für die Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs zu verzinsen (Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 237 AO 1977 Anm.4; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Anm.4433; Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 237 Anm.8; von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 237 AO 1977 Anm.7).
3. Das Urteil des FG war aufzuheben, da es von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, die Rechtmäßigkeit des Zinsbescheides abschließend zu prüfen.
a) Gemäß § 237 Abs.2 Satz 1 AO 1977 werden Zinsen erhoben vom Eingang des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, bis zu dem Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet. Ist die Vollziehung erst nach dem Eingang des außergerichtlichen Rechtsbehelfs ausgesetzt worden, so beginnt die Verzinsung mit dem Tag, an dem die Wirkung der Aussetzung der Vollziehung beginnt (§ 237 Abs.2 Satz 2 AO 1977; BFH-Beschluß vom 10.Dezember 1986 I B 121/86, BFHE 149, 6, 8, BStBl II 1987, 389, 390, m.w.N. zu § 237 Abs.2 AO 1977 a.F.).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hat das FA die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides durch Verfügungen vom 13.Januar 1977 und vom 21.Februar 1978 jeweils nur zu einem Teil der insgesamt ausgesetzten Beträge ausgesetzt. Der Zinslauf beginnt, da das FA ausweislich der Aussetzungsbescheide keine besonderen Regelungen hinsichtlich der Wirkung der Aussetzung der Vollziehung getroffen hat, für jeden dieser Teilbeträge erst mit dem Tag der Aussetzung der Vollziehung. Soweit das FA als Beginn des Zinslaufs den Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs zugrunde gelegt hat, können die Bescheide keinen Bestand haben.
b) Zinsen sind zu erheben bis zu dem Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet (§ 237 Abs.2 Satz 1 AO 1977), im Regelfall bis zu dem im Aussetzungsbescheid bestimmten Zeitpunkt. Erfüllt der Steuerpflichtige den Anspruch vorher (durch Zahlung oder Aufrechnung gemäß § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches i.V.m. § 226 Abs.1 AO 1977), so endet der Zinslauf bereits mit der Erfüllung (Tipke/Kruse, a.a.O., § 237 AO 1977 Anm.6; Kühn/Kutter/Hofmann, a.a.O., § 237 AO 1977 Anm.4; Ziemer/ Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Anm.4441/2; Höllig in Koch, a.a.O., § 237 Anm.15). Das FG hat --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- zur Frage einer vorzeitigen Erfüllung des Anspruchs keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Die nicht spruchreife Sache wird zur Nachholung entsprechender Feststellungen an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 63997 |
BFH/NV 1992, 25 |
BStBl II 1992, 319 |
BFHE 166, 311 |
BFHE 1992, 311 |
BB 1992, 912 |
BB 1992, 912-913 (LT) |
DB 1992, 720 (LT) |
DStR 1992, 1361 (KT) |
DStZ 1992, 285 (KT) |
HFR 1992, 388 (LT) |
StE 1992, 181 (K) |