Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderlichkeit der eigenhändigen Unterschrift unter dem InvZul-Antrag; Vertretung bei Auslandsaufenthalt
Leitsatz (amtlich)
Ein gesetzlicher Vertreter einer Einmann-GmbH ist an der zulagenrechtlich notwendigen eigenhändigen Unterschrift unter den jeweils nur wie eine Jahreserklärung einzureichenden Investitionszulagen-Antrag nicht stets allein schon i.S. von § 150 Abs. 3 AO 1977 mit der Folge gehindert, dass ein Bevollmächtigter wirksam unterzeichnen dürfte, weil sich der gesetzliche Vertreter auf einer seit längerem geplanten mehrwöchigen Urlaubsreise im europäischen Ausland aufhält. Vielmehr hängt die Zulässigkeit der Vertretung bei der Unterschrift davon ab, ob im Einzelfall eine postalische Verbindung möglich und deren Inanspruchnahme dem gesetzlichen Vertreter im Hinblick auf die Bedeutung eines Investitionszulagen-Antrags und die gebotene zügige verwaltungsmäßige Durchführung des Bewilligungsverfahrens zumutbar ist.
Normenkette
AO 1977 § 150 Abs. 3; InvZulG 1993 § 6 Abs. 1, 3 S. 1
Verfahrensgang
FG Berlin (EFG 1999, 249) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH. Alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter-Geschäftsführer war in den Jahren 1994 und 1995 der Prozessbevollmächtigte Steuerberater X.
Die Klägerin beantragte mit Investitionszulagenantrag vom 29. September 1995 Investitionszulage für das Streitjahr 1994 in Höhe von 8 v.H. bzw. 5 v.H. aus einer Bemessungsgrundlage von 10 650,40 DM = 628,60 DM. Der Antrag ist für die Klägerin mit "i.V. A.O." unterzeichnet worden. Zwischen Frau A.O. als Praxisinhaberin (einer eigenen Steuerberatungspraxis) und Steuerberater X als Vertreter war unter dem 2. April 1990 ein sog. Vertretungsvertrag mit unbefristeter Laufzeit (§ 1 Abs. 1 des Vertrages) abgeschlossen worden. Auf telefonischen Hinweis des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt ―FA―) vom 2. Oktober 1995, dass ein Investitionszulagenantrag für eine juristische Person von deren gesetzlichem Vertreter zu unterschreiben sei und die ordnungsgemäße Unterschrift nur noch bis zum Ablauf des Tages fristgemäß erfolgen könne, übersandte die Klägerin mit Anschreiben vom 6. Oktober 1995 eine von Steuerberater X unterzeichnete Kopie des Investitionszulagenantrags für 1994, die am 9. Oktober 1995 beim FA einging.
Das FA setzte die Investitionszulage für 1994 mangels wirksam gestellten Antrags auf 0 DM fest (Bescheid vom 22. November 1995). Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage (im Verfahren nach § 94a der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 249 veröffentlichtem Urteil statt. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, nach § 150 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) dürfe anstelle einer eigenhändigen Unterschrift der Investitionszulagenantrag durch einen Bevollmächtigten unterzeichnet werden, wenn der eigentlich Unterzeichnungspflichtige infolge längerer Abwesenheit an der Unterschrift gehindert sei. Der gesetzliche Vertreter der Klägerin (§ 34 AO 1977) habe glaubhaft vorgetragen und durch entsprechende Unterlagen belegt, dass er über eine längere Zeit hin ortsabwesend und zum Teil wegen eines Aufenthalts auf einem Segelschiff offenbar auch nicht telefonisch erreichbar gewesen sei. Infolgedessen habe die vom Geschäftsführer der Klägerin bevollmächtigte Steuerberaterin O den Antrag wirksam unterzeichnen können. Es sei nicht unbedingt erforderlich gewesen, dass der Geschäftsführer nach Rückkehr von seiner mehrwöchigen Reise die Unterschrift gemäß § 150 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 nachgeholt habe. Unter diesen Umständen komme es auch nicht auf die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO 1977 an. Da das FA die Höhe der begehrten Investitionszulage nicht bezweifelt habe und Anhaltspunkte für eine unrichtige oder überhöhte Antragstellung nicht erkennbar seien, sei der Klage insgesamt zu entsprechen.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 6 Abs. 3 des Investitionszulagengesetzes ―InvZulG― 1993; § 150 Abs. 3 AO 1977).
Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 InvZulG 1993 sei der Investitionszulagenantrag u.a. vom Anspruchsberechtigten eigenhändig zu unterschreiben. Dazu sei bei juristischen Personen, wie der Klägerin, die Unterzeichnung durch deren gesetzlichen Vertreter (§ 34 Abs. 1 AO 1977) erforderlich. Im Unterschied zu früheren Gesetzesfassungen sei die Unterzeichnung durch rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte ausgeschlossen. Das FG habe die von der Klägerin vorgelegte Vertretungsvollmacht aus dem Jahr 1990 zu Unrecht als wirksam angesehen. Seit der Neufassung des § 69 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) durch Art. 1 des Sechsten Steuerberatungsänderungsgesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl I, 1387) handele es sich dabei mit Wirkung ab Juli 1994 nur um eine allgemeine Vertretung in beruflichen Angelegenheiten des Steuerberaters, hingegen nicht um eine Vertretungsvollmacht für eine etwa auszuübende gesetzliche Vertretung. Darüber hinaus werde der Vertreter nach der Neuregelung abweichend von dem Vertretungsvertrag nur für einen bestimmten Zeitraum, längstens jedoch für die Dauer von zwei Jahren, bestellt. Im Zeitpunkt der Antragstellung sei die Vertretungsvollmacht mithin abgelaufen gewesen.
Schließlich habe auch keine längere Abwesenheit i.S. von § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 bestanden. § 150 Abs. 3 AO 1977 enthalte einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand. Die Klägerin habe keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergäbe, dass der gesetzliche Vertreter verhindert gewesen sei, die vom InvZulG bestimmte Antragsfrist einzuhalten. Das FG habe zudem nicht ermittelt, warum der Investitionszulagenantrag nicht vom gesetzlichen Vertreter der Klägerin vor dessen Abreise gefertigt und unterschrieben worden sei.
Der Investitionszulagenantrag sei somit nicht rechtzeitig gestellt und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist seien nicht gegeben.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA habe weder anhand der Rechtsprechung noch des einschlägigen Schrifttums dargetan, weshalb § 150 Abs. 3 AO 1977 unanwendbar sein solle. Der Geschäftsführer der Klägerin habe 1995 das 72. Lebensjahr bereits vollendet gehabt und sei schwer herzkrank gewesen. Deshalb habe er sich Erfüllungsgehilfen bedienen müssen. Für den Fall eines jederzeit möglichen Ausfalls habe er eine Kollegin und einen Kollegen nach § 72 StBerG mit seiner ständigen Vertretung beauftragt. Dieser Vertretungsvertrag sei fortlaufend bedarfsweise mündlich verlängert worden. Es bestünden dafür keine Formvorschriften.
Nach herrschender Lehre sei die Vorschrift in § 150 Abs. 3 AO 1977 nicht bürokratisch-formalistisch zu handhaben. Daher sei nicht nur an Urlaube, Kuraufenthalte, Geschäftsreisen und Auslandsaufenthalte zu denken. Da Antragsfristen voll ausgenutzt werden dürften, sei eine "längere Abwesenheit" auch dann noch anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige erst kurz vor Fristablauf abreise. Dieses weite Verständnis sei auch im Hinblick darauf geboten, dass das FA die Nachholung der eigenhändigen Unterschrift gemäß § 150 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 verlangen könne (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 150 AO 1977 S. 22).
Dies sei auf fernmündliche Anforderungen des FA nach Rückkehr des Geschäftsführers aus dessen Urlaub am 6. Oktober 1995 auch geschehen. Zu Unrecht habe das FA einen Nullbescheid, statt eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides erlassen.
Die Klärung des Anwendungsbereichs des § 72 StBerG erscheine von wesentlicher Bedeutung. Eine kleine Steuerberatungs-GmbH mit nur einem Gesellschafter-Geschäftsführer sei bei dessen urlaubsbedingter Abwesenheit oder noch mehr bei einem plötzlichen Wegfall, nämlich anderenfalls in vollem Umfange, handlungsunfähig.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das angefochtene Urteil ist materiell-rechtlich fehlerhaft, weil nach dessen Entscheidungsgründen nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Tatsachen das FG seine Schlussfolgerung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gezogen hat, der gesetzliche Vertreter der Klägerin sei i.S. von § 150 Abs. 3 AO 1977 infolge längerer Abwesenheit an der eigenhändigen Unterschrift unter dem Investitionszulagenantrag für 1994 innerhalb der bis zum 30. September 1995 laufenden Antragsfrist gehindert gewesen.
Das FA hat die Feststellungen des FG zwar nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen. Grundsätzlich binden die Feststellungen des FG das Revisionsgericht, sofern sie zumindest möglich sind. Jedoch stellen unzureichende Sachverhaltsdarstellungen im finanzgerichtlichen Urteil einen materiell-rechtlichen Fehler dar, der auch ohne diesbezügliche Rügen zum Wegfall der Bindungswirkung nach § 118 Abs. 2 FGO führt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 22. April 1998 X R 101/95, BFH/NV 1998, 1481 unter Abschn. B I. 2. der Gründe, m.w.N.).
1. a) Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 InvZulG 1993 ist der Antrag auf Gewährung von Investitionszulage nach amtlichem Vordruck zu stellen und vom Anspruchsberechtigten eigenhändig zu unterschreiben. Für die Klägerin als juristische Person in der Rechtsform einer GmbH, die zwar als solche steuerrechtsfähig und gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993 anspruchsberechtigt, jedoch verfahrensrechtlich nicht handlungsfähig ist, handelt nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 erste Alternative AO 1977, § 34 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) der Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1998 III R 58/95, BFHE 187, 141, BStBl II 1999, 237).
b) Wie sich aus § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 ergibt, ist dem Erfordernis der Eigenhändigkeit der Unterschrift durch den gesetzlichen Vertreter nur dann genügt, wenn dieser tatsächlich die Unterschrift höchstpersönlich leistet. Die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten ist als Ausnahme hiervon nur dann zulässig, wenn der gesetzliche Vertreter infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes oder durch längere Abwesenheit an der Unterschrift gehindert ist. In diesem Falle kann allerdings die eigenhändige Unterschrift von der Finanzbehörde nachträglich verlangt werden, wenn der Hinderungsgrund weggefallen ist (§ 150 Abs. 3 Satz 2 AO 1977).
aa) Entsprechendes gilt auch für die Eigenhändigkeit der Unterschrift des Anspruchsberechtigten nach § 6 Abs. 3 Satz 1 InvZulG 1993. Dabei hat es der erkennende Senat offen gelassen, ob diese Rechtsfolge unmittelbar aus § 150 Abs. 3 AO 1977 oder über die Verweisung in § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993 auf die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO 1977 zu entnehmen sei (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juni 1989 III R 119/85, BFHE 158, 270, BStBl II 1989, 1022). Zumindest ist § 150 Abs. 3 AO 1977 insoweit entsprechend anwendbar (s. im Einzelnen die Begründung im Urteil des erkennenden Senats in BFHE 187, 141, BStBl II 1999, 237). Wie bei Steuererklärungen dient die Eigenhändigkeit der Unterschrift unter dem Investitionszulagenantrag dazu, den Anspruchsberechtigten die Verantwortung für die Richtigkeit der der Erklärung zugrunde liegenden Tatsachen und Belege übernehmen zu lassen und insbesondere für die im Investitionszulagenvordruck geforderten Absichtserklärungen sowie andere, strafrechtlich bedeutsame Erklärungen.
Die eigenhändige Unterschrift ist innerhalb der Antragsfrist zu leisten. Anderenfalls ist der Investitionszulagenantrag als Verfahrenshandlung unwirksam (BFH-Urteile vom 17. Dezember 1998 III R 87/96, BFHE 188, 182, BStBl II 1999, 313 unter Ziff. II. 5. der Gründe; in BFHE 187, 141, BStBl II 1999, 237).
bb) Nur ausnahmsweise ist die eigenhändige Unterschrift innerhalb der Antragsfrist gemäß § 150 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 AO 1977 dann entbehrlich und die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten wirksam, wenn der gesetzliche Vertreter infolge einer längeren Abwesenheit an der rechtzeitigen Unterschriftsleistung gehindert ist (vgl. BFH-Urteile vom 30. Juni 1998 III R 5/97, BFH/NV 1999, 363; in BFHE 187, 141, BStBl II 1999, 237).
Der Begriff der "längeren Abwesenheit" wird im Gesetz nicht definiert. § 150 Abs. 3 AO 1977 ist auf Wunsch der Länder in die AO 1977 eingefügt worden. Soweit Einzelsteuergesetze die eigenhändige Unterschrift des Steuerpflichtigen bei Steuererklärungen verlangen, sollte bei der Unterschriftsleistung eine Vertretung nur in besonderen Einzelfällen zulässig sein. § 150 Abs. 3 AO 1977 wurde als lex specialis zu § 80 Abs. 1 AO 1977 verstanden (vgl. Mittelsteiner/Schaumburg, Abgabenordnung 1977, 2. Aufl., S. 250; ferner BFH-Urteile vom 29. Februar 2000 VII R 109/98, BFHE 191, 311, BStBl II 2000, 573; vom 7. November 1997 VI R 45/97, BFHE 184, 381, BStBl II 1998, 54).
Bereits § 107 Abs. 1 AO 1977 (vgl. dazu BFH-Urteil vom 8. Juni 1971 VII R 75/68, BFHE 103, 18, BStBl II 1971, 726, 727, m.w.N.) räumte in Ausnahmefällen die Möglichkeit ein, sich auch bei der Unterzeichnung von Steuererklärungen vertreten zu lassen. Im Schrifttum wurde zu dieser Vorschrift seinerzeit die Auffassung vertreten, das Tatbestandsmerkmal der "Abwesenheit" sei als "längerer Aufenthalt in weiterer Entfernung", z.B. aufgrund eines Auslandsaufenthaltes, einer Geschäftsreise, Kur oder eines Urlaubsaufenthaltes zu verstehen. Ein Steuerpflichtiger sollte in einer solchen Situation seine steuerlichen Pflichten durch einen Bevollmächtigten erfüllen lassen können (vgl. Slapio, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1995, 753, 754, m.w.N.). § 150 Abs. 3 AO 1977 hat im Vergleich zu §§ 166, 107 AO 1977 die Zulässigkeit einer Stellvertretung bei der Unterzeichnung von Steuererklärungen weiter konkretisiert (vgl. Schuhmann, Betriebs-Berater ―BB― 1977, 692, 693) und hinsichtlich der Voraussetzung der Abwesenheit die seinerzeit im Schrifttum zu § 107 AO 1977 vertretene Auslegung im Wesentlichen übernommen. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und ebenso überwiegend im Schrifttum wird dementsprechend die Auffassung vertreten, ein Daueraufenthalt im Ausland bzw. der Wegzug in das Ausland sei als "längere Abwesenheit" zu betrachten (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 1977 XIII 254/77 L, EFG 1978, 24; FG Berlin, Urteil vom 8. November 1985 III 403/83, EFG 1986, 326; Niedersächsisches FG, Urteil vom 27. Januar 1993 III 295/88, EFG 1993, 560; FG München, Urteil vom 21. April 1998 2 K 3415/96, EFG 1998, 1102; Tipke/Kruse, a.a.O., § 150 AO 1977 Tz. 18; Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 150 AO 1977 Rz. 38).
Im Weiteren wird die Ansicht vertreten, § 150 Abs. 3 AO 1977 lasse nicht erkennen, dass insoweit zeitliche oder räumliche Aspekte für die Auslegung maßgebend sein sollten. Zeitlich müsse vielmehr eine Abwesenheit schon dann als länger angesehen werden, wenn sie geeignet sei, die Wahrnehmung steuerlicher Rechte und Pflichten zu gefährden. Insoweit sei einzelfallbezogen zu entscheiden (vgl. Slapio, a.a.O., S. 753, 755). Nicht als entscheidungsrelevant dürften die theoretischen Möglichkeiten gewertet werden, dass der Steuerpflichtige auswärts postalisch erreichbar sei; denn § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 gebe dem Steuerpflichtigen die Ausschöpfung derartiger Möglichkeiten nicht auf. Dies könne nämlich im Einzelfall auch aus Kostengründen unbillig sein. Ebenso wenig rechtserheblich sei es, dass der Steuerpflichtige nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Erklärung unterschrieben und eingereicht habe. Fristen, die nach dem Gesetzeszweck stets auch Bedenkfristen seien, dürften nämlich bis zum Ende genutzt werden (zum Ganzen Slapio, a.a.O., S. 753, 755 und 756, m.w.N.). Zum Teil wird aus der Ermächtigung des FA, die Unterschriftsleistung des gesetzlichen Vertreters nachträglich verlangen zu können (vgl. § 150 Abs. 3 Satz 2 AO 1977), auch abgeleitet, die Norm wolle primär vorübergehende Hinderungsgründe erfassen (vgl. Schick, Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1988, 301, 317). Als selbstverständlich wird insoweit allerdings davon ausgegangen, dass ein dauerhafter Hinderungsgrund, wie ein Wegzug ins Ausland, die Unterzeichnung durch den Bevollmächtigten stets rechtfertigt (Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 150 AO 1977 Rz. 38; Tipke/Kruse, a.a.O., § 150 AO 1977 Tz. 18). Teilweise wird auch einschränkend auf den Gesichtspunkt der Zumutbarkeit abgestellt, z.B. wenn eine relativ kurze Heimfahrt per Auto möglich wäre (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 150 AO 1977 Tz. 18). Einzelne Autoren wollen darüber hinaus den Wortlaut des § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 einschränkend auslegen. So soll nach Brockmeyer/Klein (Abgabenordnung, 7. Aufl., § 150 Rz. 11) eine kurzfristige Abwesenheit von z.B. zwei Wochen nicht ausreichen. Vielmehr sei es in solchen Fällen Sache des Steuerpflichtigen, die Unterschrift so rechtzeitig zu leisten, dass die Frist eingehalten werden könne (a.A. z.B. Sächsisches FG, Urteil vom 23. Mai 1996 2 K 22/95, EFG 1997, 760, 761, rechtskräftig).
Stöcker (in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 150 AO 1977 Rz. 52) will nicht nur bloße kürzere Abwesenheiten nicht als Hinderungsgrund ausreichen lassen. Vielmehr mache auch eine zeitlich längere Abwesenheit nur in seltenen Ausnahmefällen eine eigenhändige Unterschrift des Erklärungspflichtigen entbehrlich. Denn die längere Abwesenheit verhindere eine eigenhändige Unterschrift des Steuerpflichtigen nur dann, wenn der Erklärungspflichtige postalisch nicht erreichbar sei.
cc) Der Senat geht ―jedenfalls für das Investitionszulagenrecht― in Anlehnung an die vorerwähnten Ausführungen von Stöcker davon aus, dass auch bei einer längeren Abwesenheit nicht notwendig eine Verhinderung an der persönlichen Unterschriftsleistung vorliegt, sondern diese nur dann anzunehmen ist, wenn es dem Investor ―unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit― nicht zuzumuten ist, den Investitionszulagenantrag trotz der Abwesenheit zum Fristende eigenhändig zu unterzeichnen. Ausschlaggebend für dieses strengere Verständnis der Vorschrift ist insbesondere einmal der Umstand, dass der Investitionszulagenantrag wie eine Art Jahreserklärung erst bis zum 30. September des dem Investitionszulagejahr nachfolgenden Kalenderjahres einzureichen ist. Ferner ist für den Senat der Gesichtspunkt bestimmend, dass die für die Gewährung der Investitionszulage erforderlichen tatsächlichen Erklärungen (als Wissenserklärungen) dem strafrechtlichen Verantwortungsbereich des Antragsberechtigten oder seines gesetzlichen Vertreters zugeordnet sind (BFH-Urteil in BFHE 188, 182, BStBl II 1999, 313), und zum anderen der das Investitionszulagenrecht beherrschende Verfahrensgrundsatz, dass die Antragsvoraussetzungen der Investitionszulage im Interesse der zur Verwirklichung des Förderungszwecks gebotenen raschen Gewährung der Investitionszulage zügig überprüfbar sein müssen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 4. August 1999 III R 60/97, BFHE 189, 268, BStBl II 1999, 791).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist eine eigenhändige Unterzeichnung auch bei längerer Abwesenheit, die der Senat für das Investitionszulagenrecht mit mehr als zwei Wochen annimmt, insbesondere dann zumutbar, wenn der Anspruchsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter wegen geringer Entfernung den Firmensitz ohne größeren zeitlichen und finanziellen Aufwand aufsuchen kann. Aber auch bei weiterer Entfernung ist es dem Antragsberechtigten im Hinblick darauf, dass es sich beim Investitionszulagenantrag nicht um ein alltägliches, sondern ein langfristig planbares Geschäft handelt, in der Regel zumutbar, eine ordnungsgemäße und fristgerechte Unterzeichnung durch den gesetzlichen Vertreter im Wege entsprechender organisatorischer Maßnahmen sicherzustellen (vgl. o.V. Anmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1999, 397).
Deshalb ist der gesetzliche Vertreter in der Regel nicht an der eigenhändigen Unterzeichnung verhindert, wenn er sich während einer längeren Abwesenheit im In- oder europäischen Ausland aufhält und postalisch ohne Schwierigkeit erreichbar ist. Im Einzelfall kann sich unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit etwas anderes ergeben, wenn konkret mit Verzögerungen und Verlusten während des Postlaufs zu rechnen ist oder zur Überprüfung des Antrags umfangreiche Unterlagen gesichtet werden müssen (z.B. sehr zahlreiche begünstigte Wirtschaftsgüter).
2. a) Das FG hat den unter Beifügung verschiedener Belege unterbreiteten klägerischen Vortrag, der gesetzliche Vertreter der Klägerin, der Alleingesellschafter-Geschäftsführer Steuerberater X, sei vom 6. September bis 5. Oktober 1995 wegen einer Urlaubs- und Tagungsreise von Berlin abwesend gewesen, als glaubhaft angesehen. Es hat des Weiteren angenommen, der gesetzliche Vertreter sei i.S. von § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 über längere Zeit ortsabwesend und zum Teil wegen eines Aufenthaltes auf einem Segelschiff offenbar auch nicht telefonisch erreichbar gewesen.
Ob der gesetzliche Vertreter noch vor Antritt seiner ―nach Aktenlage― möglicherweise bereits längere Zeit vorher geplanten Auslandsreise noch den Investitionszulagenantrag für 1994 hätte fertigen und unterschreiben können, hat das FG ebenso wenig geprüft, wie die weitere Frage, ob der gesetzliche Vertreter der Klägerin in zumutbarer Weise postalisch hätte erreicht werden können, so dass jedenfalls eine Abgabe eines ordnungsgemäß unterzeichneten Investitionszulagenantrags für 1994 noch innerhalb der Antragsfrist möglich gewesen wäre.
Das FG hat zu dem konkreten Ablauf der gesamten Auslandsreise überhaupt keine nachprüfbaren Feststellungen getroffen. Geht man vom Schriftsatz des Prozessvertreters im finanzgerichtlichen Verfahren vom 13. November 1996 aus, so hielt sich der gesetzliche Vertreter vom 17. September bis 22. September 1995 in Cannes zwecks Teilnahme am IFA-Kongress auf und war insoweit ―wohl vor Antritt der Reise zuverlässig planbar― postalisch erreichbar.
b) Das FG hat ―wie im Übrigen bereits das FA in der Einspruchsentscheidung vom 12. September 1996― ebenso wenig nachvollziehbar festgestellt, woraus sich eine Bevollmächtigung der den Investitionszulagenantrag für 1994 unterschreibenden Steuerberaterin O ableiten lassen soll. Der Senat kann nicht beurteilen, ob im Streitfall die Voraussetzungen für die Bestellung eines allgemeinen Vertreters auf vertraglicher, nicht formgebundener Grundlage nach § 69 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 5, § 72 Abs. 1 StBerG (dazu Gehre, Steuerberatungsgesetz, 4. Aufl., § 69 Rz. 7, 10, 13 und 15) erfüllt sind.
Die Klägerin hat im finanzgerichtlichen Verfahren geltend gemacht, es handele sich bei Frau O um eine Dauervertreterin. Mit der Klageschrift vom 12. Oktober 1996 hatte die Klägerin vorgetragen, die Steuerberaterin sei, wie auch schon vorher in anderen dringenden Fällen, fernmündlich gebeten worden, gemäß schriftlichem Vertretungsvertrag vom 2. April 1990 den Antrag zu unterschreiben. Abgesehen davon, dass das FG den Vertretungsvertrag in keiner Weise konkret in Bezug genommen hat und dementsprechend umso weniger den genauen Inhalt dieses Vertrages festgestellt hat, lässt sich dem in der Investitionszulagenakte befindlichen Vertretungsvertrag allenfalls eine umgekehrte Bevollmächtigung des Steuerberaters X als Vertreter von Steuerberaterin O als Praxisinhaberin entnehmen. Eine auch zumindest wechselseitige Vertretung im Verhinderungsfalle kann gleichfalls nicht aus diesem Vertrag abgeleitet werden.
c) Die Klägerin hat zwar unter dem 6. Oktober 1995, eingegangen beim FA am 9. Oktober 1995, in Kopie den vom gesetzlichen Vertreter der Klägerin unterzeichneten Investitionszulagenantrag für 1994 auf den fernmündlichen Hinweis des FA hin nachgereicht. Dieser Antrag war allerdings erst nach Ablauf der Antragsfrist zwar formwirksam, aber verfristet gestellt worden. Das FA hat von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht offen gelassen, ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Ausschlussfrist gemäß § 110 Abs. 1 und 2 AO 1977 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1993 erfüllt sind (vgl. zur Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Antragsfrist als Ausschlussfrist BFH-Urteile in BFHE 187, 141, BStBl II 1999, 237 unter Ziff. 3. der Gründe; in BFH/NV 1999, 363 unter Ziff. 4. der Gründe) und dementsprechend auch keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen.
3. Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die nach Maßgabe der ausgeführten Rechtsansicht des erkennenden Senats erforderlichen Feststellungen nachholen.
Fundstellen
Haufe-Index 603038 |
BFH/NV 2001, 1164 |
BStBl II 2001, 629 |
BFHE 2002, 1 |
BB 2001, 1622 |
DB 2001, 1761 |
DStRE 2001, 1105 |
DStZ 2001, 672 |
HFR 2001, 946 |
StE 2001, 470 |