Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Die Beteiligungsgrenze von 1 % i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ist verfassungsgemäß.
Normenkette
§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
K ist Gründungsgesellschafter einer im Jahr 1993 errichteten und im Jahr 2000 in eine AG umgewandelten GmbH. Seine Beteiligung bewegte sich bis zu der vorliegend streitbefangenen Anteilsveräußerung im August 2003 zwischen 4,9 % und 7 %. Aus dieser Veräußerung erzielte K unstreitig einen Veräußerungsgewinn von 389.187,50 EUR, den das FA im Einkommensteuerbescheid 2003 unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens mit 194.593 EUR als Einkünfte i.S.v. § 17 EStG erfasste. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Düsseldorf, Urteil vom 6.10.2011, 8 K 3811/09 E, Haufe-Index 2970549, EFG 2012, 516).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die FG-Entscheidung aus den in den Praxis-Hinweisen ersichtlichen Gründen.
Hinweis
Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG musste sich der BFH damit befassen, ob die 1 %ige Beteiligungsgrenze verfassungsgemäß ist. Gibt es einen sachlichen Grund, Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft steuerrechtlich zu erfassen, wenn die Schwelle erreicht oder überschritten ist, sie aber steuerfrei zu belassen, wenn die Kapitalbeteiligung insgesamt 1 % nicht erreicht?
1. Der BFH sieht darin keinen Gleichheitsverstoß. Zunächst zu den Maßstäben: Art. 3 Abs. 1 GG begrenzt die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich des Steuerrechts in einer speziell diesem Regelungsgegenstand Rechnung tragenden Weise. So hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstands und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes.
2. Nach diesen Maßstäben bewegt sich die 1 %-Grenze des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit:
Die Entscheidung, ob Gewinne aus der Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens besteuert werden, ist eine solche politischer Gestaltung und liegt – wie der Dualismus der Einkunftsarten – innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt.
Der Gesetzgeber trifft mit der Einführung der 1 %-Grenze eine neue Systementscheidung. Entsprechend erklärt er in der Gesetzesbegründung, dass es auf eine Wesentlichkeit nicht mehr ankommt (BT-Drucks. 14/3366, 118). Vielmehr kommt § 17 EStG eine neue Funktion zu, nämlich grundsätzlich sicherzustellen, dass es nicht durch Veräußerung der Beteiligung möglich ist, die Halbeinkünftebesteuerung auf der Ebene des Anteilseigners, der seine Anteile nicht in einem Betriebsvermögen hält, zu vermeiden (BT-Drucks. 14/3366, 118). Insoweit erachtet es der Gesetzgeber zur Vermeidung von Steuerumgehungen für geboten, die Grenze für die wesentliche Beteiligung auf mindestens 1 % zu senken (BT-Drucks. 14/2683, 114).
Die Wahl dieser Minimalgrenze ist von der Gestaltungsfreiheit und Typisierungsbefugnis des Steuergesetzgebers umfasst. Darauf, dass der Gesetzgeber sein genanntes Ziel – wie der Kläger meinte – treffsicher und in folgerichtiger Fortführung seiner schon mit der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze auf 10 % sowie der Verlängerung der sog. Spekulationsfristen des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 begonnenen Gesetzgebungslinie einer zunehmend weitergehenden Besteuerung privater Wertzuwächse auch mit einer ausnahmslosen Gewinnbesteuerung bei Beteiligungsveräußerungen hätte erreichen können, kommt es nicht an. Auch dass ein prozentualer Anteil an einer Kapitalgesellschaft die Leistungsfähigkeit des Gesellschafters in Abhängigkeit von der Größe der Gesellschaft abbildet, macht die prozentuale Beteiligung nicht zum gleichheitswidrigen Anknüpfungspunkt für die Einkommensbesteuerung. Vielmehr fügt sich diese typisierende tatbestandliche Abbildung einer Minimalgrenze für den Steuerzugriff in die bisherige Struk...