Ob ein ausreichendes Maß an freier schöpferischer Gestaltung vorliegt, kann im Einzelfall schwer zu entscheiden sein. Dies gilt gerade für den Grenzbereich zwischen Kunst, Kunsthandwerk und Handwerk. Handwerk und Kunsthandwerk erfordern häufig für sich schon ein bestimmtes Maß an eigenschöpferischer Leistung.
Das BSG hat daher zur Abgrenzung von Kunst und (Kunst-) Handwerk einen einfachen Maßstab entwickelt: Zum Handwerk gehören zumindest alle in den Anlagen zur Handwerkerordnung (HwO) aufgeführten Tätigkeiten sowie "alle dort nicht verzeichneten handwerklichen Tätigkeiten im weiteren Sinne". Dabei ist zu unterscheiden, ob sich die Tätigkeit auf das Anfertigen von Entwürfen beschränkt oder ob aber im Anschluss auch die Herstellung etwa von Einzelstücken erfolgt (Urteil vom 28.2.2007, Az. B 3 KS 2/07 R):
Zitat
Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass handwerkliche Tätigkeiten, auch wenn ihnen ein gestalterischer Freiraum immanent ist (z. B. Steinmetze, Goldschmiede und andere Kunsthandwerker sowie Fotografen), entsprechend der historischen Entwicklung und der allgemeinen Verkehrsauffassung grundsätzlich nicht zum Bereich der Kunst im Sinne des KSVG gehören (...). Dies gilt generell für alle handwerklichen Berufe, die verzeichnet sind in der Anlage A der HwO, d. h. im Verzeichnis der Gewerbe, die als zulassungspflichtige Handwerke betrieben werden können (§ 1 Abs 2 HwO), oder in der Anlage B der HwO, d. h. im Verzeichnis der Gewerbe, die als zulassungsfreie Handwerke (= Abschnitt 1) oder handwerksähnliche Gewerbe (= Abschnitt 2) betrieben werden können (§ 18 Abs 2 HwO), darüber hinaus aber auch für alle nicht in der HwO verzeichneten handwerklichen Tätigkeiten im weiteren Sinne.
Dies betrifft beispielsweise
- Gold- und Silberschmiede,
- Modedesigner mit eigenem Label,
- Industriedesigner mit eigener Fertigung,
- Restauratoren,
- Instrumentenbauer,
- Feintäschner,
- Tätowierer
und andere Tätigkeiten, die in der Handwerkerordnung (HwO) genannt oder den dort genannten ähnlich sind.
Wenn beispielsweise ein Modeunternehmen also Entwürfe bei einer Modedesignerin anfertigen lässt und dann eine Lizenz zahlt, ist diese Lizenz Entgelt für eine künstlerische Leistung und damit abgabepflichtig. Wenn der Beauftragte dagegen neben dem Entwurf auch die Einzelstücke selbst anfertigt, spricht dies für eine handwerkliche Produktion. Auch dann kann zwar eine künstlerische Tätigkeit vorliegen, aber nur (BSG Urteil vom 20.3.1997, Az. 3 RK 15/96):
Zitat
(...) wenn der Betroffene mit seinen Werken in einschlägigen fachkundigen Kreisen als ‘Künstler’ anerkannt und behandelt wird.
Eine handwerkliche Tätigkeit kann also nur dann als Kunst i. S. d. § 2 S. 1 KSVG angesehen werden, wenn eine Anerkennung in künstlerischen Fachkreisen vorliegt. Laut BSG kommen als Indizien hierfür in Betracht beispielsweise:
400 verschiedene Tätigkeiten und ihre Einordnung als künstlerisch finden Sie im Anhang. Im Folgenden wird eine Auswahl wichtiger Urteile zum Handwerk vorgestellt.
3.2.1.5.1 Künstlerische Fotografie
Auch die im normalen Sprachegebrauch als künstlerisch bezeichnete Fotografie wird vom BSG als Handwerk eingestuft, da sie in der Anlage B1 der HwO aufgeführt wird (anders wohlgemerkt die Werbefotografie, die auch ohne Gestaltungsspielraum per se Kunst sei). Ergebnis: Entgelte für künstlerische Fotografie sind nicht abgabepflichtig. Nur wenn der Fotograf in künstlerischen Fachkreisen als Künstler anerkannt ist und etwa Ausstellungen bestreitet, sind Entgeltzahlungen an ihn – etwa von seiner Galerie – abgabepflichtig.
Praxistipp
Im normalen Sprachgebrauch als künstlerisch bezeichnete Fotografie ist Handwerk (also nicht abgabepflichtig). Werbefotografie ist per se immer Kunst (und damit immer abgabepflichtig).
3.2.1.5.2 Modedesign
Wenn sich eine Mode- oder Textildesignerin auf das Anfertigen von Entwürfen beschränkt und die Umsetzung bzw. Herstellung durch ein anderes Unternehmen erfolgt, handelt es sich um eine klassische künstlerische Tätigkeit. Anders, wenn sie ein eigenes Label betreibt und die Herstellung (ob von Einzelstücken oder in Serienfertigung) sowie den Vertrieb selbst verantwortet. In solchen Fällen liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit nach Meinung des BSG auf dem Handwerk ...