Leitsatz
Zahlt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer im Zuge der (einvernehmlichen) Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, sind tatsächliche Feststellungen zu der Frage, ob der Arbeitnehmer dabei unter tatsächlichem Druck stand, regelmäßig entbehrlich.
Normenkette
§ 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war als Verwaltungsangestellter bei einer Kommune beschäftigt. Der Stadtverwaltung drohte ein Personalabbau. Ob der kurz vor seiner Pensionierung stehende Kläger davon betroffen gewesen wäre, hatte das FG nicht festgestellt. Der Kläger meldete sich "freiwillig" und wurde gegen Abfindung entlassen. Das FA versagte die tarifbegünstigte Besteuerung der Abfindungszahlung. Das FG (FG Münster, Urteil vom 17.3.2017, 1 K 3037/14 E, Haufe-Index 10901926, EFG 2017, 1096) hat der Klage stattgegeben und die Revision zugelassen.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg. Der BFH hat die Rechtsfrage dahin beantwortet, dass im Besprechungsfall eine Zwangssituation auch ohne dahin gehende tatsächliche Feststellungen des FG anzunehmen war.
Hinweis
Im Besprechungsfall hatte das FG die Revision zugelassen, um höchstrichterlich klären zu lassen, welche Anforderungen an eine Konfliktlage als Voraussetzung für die Annahme einer Entschädigung zu stellen sind. Der BFH präsentiert eine vielleicht unerwartete Lösung:
1. Nach bisheriger Rechtsprechung setzt die Annahme einer Entschädigung i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG u.a. voraus, dass der Einnahmenausfall von dritter Seite veranlasst wurde oder, soweit er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dass dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schädigende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben. Daran hält die Besprechungsentscheidung fest.
2. An dieser Rechtsprechung sind indes Zweifel laut geworden. So hat der X. Senat des BFH in einem Urteil dahinstehen lassen, ob er grundsätzlich im Rahmen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG an dem Erfordernis einer Zwangssituation festhalten möchte (BFH, Urteil vom 23.11.2016, X R 48/14, BFH/NV 2017, 659, m. Anm. FörsterBFH/PR 2017, 188, BStBl II 2017, 383).
3. In Bezug auf diese Zweifel hat der erkennende IX. Senat in einer anderen aktuellen Entscheidung ausgeführt: "Eine ‚Zwangssituation’, auf die es nach der Rechtsprechung für die Annahme einer Entschädigung i.S. v. § 24 Nr. 1 EStG ankommt, ist, wenn man an dem Erfordernis festhält (…), beim Arbeitnehmer jedenfalls nicht deshalb zu verneinen, weil er einer gütlichen Einigung zugestimmt hat" (BFH, Urteil vom 13.3.2018, IX R 12/17, BFH/NV 2018, 715 m.w.N.).
4. Hintergrund ist die Frage, ob es richtig sein kann, die Vorschrift des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, aus der sich die Steuerbarkeit von Entschädigungen dem Grunde nach ergibt, derart einzuschränken. Sollte die Steuerbarkeit wirklich dem Grunde nach zu verneinen sein, wenn eine Zwangslage nicht festgestellt werden kann? Was wäre die Rechtfertigung dafür? Die Abfindung erhöht doch die Leistungsfähigkeit? Gehört nicht das einschränkende Kriterium – wenn überhaupt – eher zu der im Zusammenhang zu sehenden Tarifbegünstigung in § 34 Abs. 1 EStG?
5. Diese (rechtlichen) Fragen, die wohl auch den X. Senat beschäftigen, lässt die Besprechungsentscheidung offen. Sie gibt stattdessen eine pragmatische Lösung vor: Das Kriterium der Zwangsläufigkeit bleibt zwar bestehen. Es wird aber so aufgeweicht, dass es praktisch keine Rolle mehr spielt.
a) Wie bereits in der Rechtsprechung anerkannt, ist eine Zwangssituation nicht deshalb zu verneinen, weil der Steuerpflichtige einer einvernehmlichen Vertragsauflösung zugestimmt hat. Zwar geschieht dem, der zustimmt, schadenersatzrechtlich kein Unrecht (volenti non fit iniuria); aber die Zustimmung kann trotzdem "nicht ganz freiwillig" gewesen sein. Darauf stellt die steuerliche Rechtsprechung ab und hat sich damit bereits weit vom Schadensbegriff ("Entschädigung") entfernt.
b) Nun kommt hinzu, dass tatsächliche Feststellungen zu der Frage, ob der Steuerpflichtige bei seiner Zustimmung unter Druck stand, regelmäßig entbehrlich sind. Warum? Regelmäßig kann man davon ausgehen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nichts zahlen würde, wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses allein von diesem ausging. Schon aus dem Umstand, dass der Arbeitgeber eine Abfindung zahlt, ergibt sich deshalb indiziell, dass er ein geldwertes eigenes Interesse an der Auflösung des Vertrags hatte. Dieses Interesse des Arbeitgebers setzt den Arbeitnehmer in der Regel hinreichend stark unter Druck (Rz. 14). Viel ist danach vom Kriterium der Zwangssituation nicht geblieben.
c) Noch etwas stärker hätte der Senat eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Zwangssituation formulieren können, wenn der Arbeitgeber im Zuge der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer eine Abfindung zahlt. Dazu hat sich der Senat nicht durchringen können. Aber was ist ein Krit...