Leitsatz
1. Ob die von einer Koordinierten Organisation – hier: der NATO – bezogenen Ruhegehaltszahlungen auf früheren Beitragsleistungen des Steuerpflichtigen beruhen und damit als Leibrente und nicht als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit zu versteuern sind, bestimmt sich danach, ob der Steuerpflichtige zu ihrer Erlangung eigenes Vermögen einschließlich zugeflossenen Arbeitslohns eingesetzt hat.
2. Behält die Koordinierte Organisation einen Teil vom Arbeitslohn des Steuerpflichtigen ein, um ihn als Arbeitnehmerbeitrag einer Versorgungsrückstellung in ihrem Haushaltsplan zuzuführen, so fließt dem Steuerpflichtigen dadurch kein Arbeitslohn zu.
3. Die Steuerbefreiung für Bezüge und Einkünfte, die den Bediensteten eines NATO-Hauptquartiers in ihrer Eigenschaft als derartige Bedienstete gezahlt werden, findet auf laufende Ruhegehaltszahlungen keine Anwendung.
Normenkette
§ 11 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Der Kläger bezog in den Jahren 1984 bis 1999 als aktiver, nichtselbstständig tätiger Zivilbediensteter der NATO in Brüssel steuerfreie Einkünfte nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 des Protokolls über die NATO-Hauptquartiere (BGBl II 1969, 2000). In diesem Zusammenhang war er unabdingbar in das Versorgungssystem der NATO einbezogen. Danach erhielten die Bediensteten nach ihrem Eintritt in den Ruhestand eine Pension, die die NATO aus ihrem laufenden Haushalt bestritt. Die aktiven Mitarbeiter hatten zur Finanzierung ihrer Pensionen dergestalt beizutragen, dass die NATO 8 % ihres Bruttoarbeitslohns einbehielt.
Mit Ablauf des Jahrs 1999 trat der Kläger in den Ruhestand. In den Streitjahren 2000 und 2001 bezog er ein Ruhegehalt i.H.v. jährlich rd. 50.000 DM zuzüglich eines sog. Steuerausgleichs. Er ging davon aus, dass die Ruhestandsbezüge als Leibrente i.S.v. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG lediglich mit dem Ertragsanteil (32 %) zu besteuern seien. Das FA erfasste hingegen in den angefochtenen ESt-Bescheiden die vollen Bezüge als Einkünfte i.S.v. § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG.
Das FG gab dem Kläger recht (EFG 2005, 1695). Dem folgte der BFH jedoch nicht. Er hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH entschied, dass es sich bei den streitigen Bezügen nicht um eine Leibrente i.S.v. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG, sondern um in vollem Umfang steuerpflichtige Einkünfte i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG handle. Von einer Leibrente könne nur dann ausgegangen werden, wenn der Steuerpflichtige zur Erlangung der Einkünfte eigenes Vermögen – insbesondere zugeflossenen Arbeitslohn – eingesetzt habe. Dies treffe im Streitfall nicht zu.
Bei den von der NATO vorgenommenen Lohneinbehalten i.H.v. 8 % der Bruttoarbeitslöhne habe es sich um sog. Gehaltskürzungen und nicht um Gehaltsverwendungen gehandelt. Bei einer solchen bloßen Gehaltskürzung erbringe der Arbeitnehmer infolge des fehlenden Lohnzuflusses gerade keinen eigenen Beitrag zu seinen späteren Versorgungsbezügen.
Etwas anderes gelte nur in dem hier nicht gegebenen Fall, dass der Arbeitgeber mit seinen Leistungen dem Arbeitnehmer einen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen einen Dritten verschafft (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 12.9.2001, VI R 154/99, BFH-PR 2002, 87).
Hinweis
1. Mit dem Zufluss von Einnahmen in den Fällen der Abkürzung des Leistungswegs (z.B. durch sog. Schuldumschaffung = Novation oder durch bloße Gutschrift in den Büchern des Schuldners) hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung schon früher ausführlich befasst. Hinsichtlich der dabei maßgebenden Grundsätze kann insbesondere auf die ausführliche Darstellung im BFH-Urteil vom 22. Juli 1997, VIII R 57/95 (BStBl II 1997, 755, unter II.2., m.w.N.) verwiesen werden.
2. Speziell zu dem hier in Rede stehenden Fall der Einbehaltung von Gehaltsteilen zum Zweck der Zukunftssicherung des Arbeitnehmers differenziert die ständige Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 15.7.1977, VI R 109/74, BStBl II 1977, 761; BFH, Beschluss vom 25.4.2006, X R 9/04, BFH/NV 2006, 1645) zwischen der sog. Gehaltskürzung und der sog. Gehaltsverwendung.
a) Die bloße "Gehaltskürzung" bewirkt keinen Zufluss von Arbeitslohn und führt deswegen auch nicht dazu, dass der Arbeitnehmer in Form des einbehaltenen Gehaltsteils einen eigenen Beitrag zu seinen späteren vom Arbeitgeber geleisteten Versorgungsbezügen bestreitet. Eine andere Beurteilung ist nur dann geboten, wenn der Arbeitgeber den einbehaltenen Gehaltsteil dazu verwendet, dem Arbeitnehmer einen (unmittelbaren und unentziehbaren) Anspruch auf Altersversorgung gegen einen Dritten (z.B. Rentenversicherungsträger) zu verschaffen.
b) Grundlegend anders verhält es sich hingegen bei der sog. Gehaltsverwendung. Eine solche kann allerdings nach ständiger Rechtsprechung nur dann angenommen werden, wenn sich der betreffende Lohneinbehalt bei wirtschaftlicher Betrachtung lediglich als eine Verkürzung des alternativ zu Gebote stehenden langen Leistungswegs erweist, der darin besteht, dass der Arbeitge...