Leitsatz
Wird für eine von Todes wegen erworbene Leibrente nach § 23 Abs. 1 ErbStG die jährliche Besteuerung des Jahreswerts gewählt und fallen die Rentenzahlungen später wegen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Verpflichteten aus, kann eine abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer für die Ablösung der Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG i.V.m. § 163 Satz 1 AO gerechtfertigt sein, wenn der Rentenberechtigte als Erwerber den Antrag auf Ablösung der Jahressteuer erst lange Zeit nach Beginn des Zahlungsausfalls stellt und nicht damit zu rechnen ist, dass er weitere Rentenzahlungen erhalten wird. Entscheidend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls.
Normenkette
§ 11, § 12, § 23 ErbStG, § 14 BewG 1980, § 13, § 14 BewG, § 163 AO, § 101, § 102 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin erhielt aufgrund eines Vermächtnisses ihres 1980 verstorbenen Lebensgefährten (L) eine wertgesicherte Leibrente von anfangs monatlich 8.000 DM. Mit dem Vermächtnis waren die Erben S und T beschwert. Nach Abschluss eines wegen des Vermächtnisses geführten Rechtsstreits zwischen der Klägerin und den Erben wurde T zulasten des S aus der Vermächtnisverpflichtung entlassen. S stellte eine Bankbürgschaft in Höhe von 1 Mio. DM. Das FA setzte entsprechend der von der Klägerin zunächst beantragten Jahresversteuerung eine jährliche Erbschaftsteuer für die Rente von 48.000 DM fest. In den Jahren 1997/1998 wurde S zahlungsunfähig. Die Rentenzahlungen an die Klägerin wurden bis einschließlich Mai 2005 aus der Bankbürgschaft geleistet. Für die Zeit ab Juni 2005 erhielt sie wegen der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des S keine Rentenzahlungen mehr.
Im Jahr 2010 beantragte die Klägerin unter Verweis auf den Vermögensverfall des S die Ablösung der Jahressteuer nach § 23 Abs. 2 ErbStG mit einem Jahresbetrag von 0 EUR. Das FA lehnte dies ab und setzte die für die Ablösung zu entrichtende Erbschaftsteuer auf 186.912 EUR fest. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (FG Münster, Urteil vom 18.12.2013, 3 K 3246/12 Erb, EFG 2014, 728).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der BFH hat aufgrund der Umstände des Einzelfalls einen Anspruch der Klägerin auf eine abweichende Steuerfestsetzung auf 0 EUR aus sachlichen Billigkeitsgründen bejaht. Denn die Klägerin hat den Antrag auf Ablösung der Jahressteuer erst fünf Jahre nach Ausbleiben der Rentenzahlungen gestellt. Zudem hatte die Klägerin aufgrund der zunächst gewählten Jahresversteuerung eine wesentlich höhere Erbschaftsteuer zu entrichten als sie bei einer Sofortversteuerung mit dem Kapitalwert zu zahlen gewesen wäre.
Hinweis
Erwerber von Renten oder wiederkehrenden Leistungen haben nach § 23 Abs. 1 ErbStG ein Wahlrecht, die Erbschaft- oder Schenkungsteuer für diesen Erwerb entweder nach dem Kapitalwert oder jährlich im Voraus von dem Jahreswert zu entrichten. Wählt der Erwerber die Jahressteuer, kann er diese zum jeweils nächsten Fälligkeitstermin mit ihrem Kapitalwert ablösen (§ 23 Abs. 2 ErbStG). Probleme bei der Anwendung des § 23 ErbStG ergeben sich, wenn die Zahlungen der Rente bzw. der wiederkehrenden Leistungen vorzeitig endet. Soweit der Berechtigte vorzeitig verstirbt, ist eine Berichtigung der Steuerfestsetzung nach Maßgabe des § 14 Abs. 2 BewG möglich.
Eine gesetzliche Regelung fehlt aber für den Fall, dass die Zahlungen z.B. aufgrund der Insolvenz des Verpflichteten ausbleiben. Eine Berichtigung der Steuerfestsetzung nach § 14 Abs. 2 BewG ist in diesem Fall nicht möglich. Hat der Berechtigte zunächst die Jahresversteuerung gewählt und beantragt er später die Ablösung der Jahressteuer, ist entsprechend dem Stichtagsprinzip (§ 11 ErbStG) für die Ablösung vom Kapitalwert der Rente von den Verhältnissen am Todestag des Erblassers auszugehen. Hier kommt es, wenn der Berechtigte zukünftig nicht mehr mit Rentenzahlungen rechnen kann, zu einer Kollision des Stichtagsprinzips mit dem für die Erbschaft- und Schenkungsteuer tragenden Bereicherungsprinzip.
1. Einen Ausweg aus dieser für den Berechtigten u.U. äußerst misslichen Kollisionslage weist die Möglichkeit eines Billigkeitserlasses. Ein solcher Erlass ist – jeweils nach den Umständen des Einzelfalls – geboten, wenn der rentenberechtigte Erwerber den Antrag auf Ablösung der Jahressteuer erst lange Zeit nach Beginn des Zahlungsausfalls stellt und nicht damit zu rechnen ist, dass er weitere Rentenzahlungen erhalten wird.
a) |
Das Stichtagsprinzip schließt eine abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 Satz 1 AOnicht generell aus. Eine sachliche Unbilligkeit kann bei Erwerben i.S.d. § 23 Abs. 1 ErbStG dadurch eintreten, dass die Besteuerung an die lebenslängliche Rentenleistung anknüpft und, obwohl die Rentenzahlungen tatsächlich aus vom Rentenberechtigten nicht zu vertretenden Umständen ausbleiben, der Rentenberechtigte gleichwohl bis zu seinem Ableben weiterhin die Jahressteuer für eine lebenslängliche Rente zu entrichten hat. |
b) |
Der BFH hält eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen auch w... |