Leitsatz
1. Der zur Bemessung von Geldbußen nach Art. 23 Abs. 3 EGV 1/2003 zu errechnende Grundbetrag enthält keinen Abschöpfungsteil.
2. Richtet sich die Bemessung einer von der Europäischen Kommission wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängten Geldbuße allein nach dem Grundbetrag, der ggf. anschließend auf den Höchstbetrag nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 EGV 1/2003 gekürzt wird, so ist die Geldbuße auch nicht teilweise nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG als Betriebsausgabe abziehbar.
Normenkette
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 1, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB, Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 EGV 1/2003
Sachverhalt
Gegen die klagende KG hatte die Europäische Kommission im Jahr 2006 eine Geldbuße wegen der Beteiligung an einem Kartell verhängt. Nach den Leitlinien der Kommission wird die Geldbuße ausgehend von dem betroffenen Umsatz und der Dauer der Beteiligung an dem Kartell ermittelt. Der sich daraus ergebende Grundbetrag kann um einen Aufschlag zur Gewährleistung einer abschreckenden Wirkung erhöht werden, um zu erreichen, dass die Buße den widerrechtlich erwirtschafteten Gewinn übersteigt. Höchstens darf die Buße aber 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes ausmachen. Im Fall der KG hatte die Kommission den Grundbetrag ermittelt und diesen dann auf den Höchstbetrag gekürzt. Die KG erhob gegen den Bußgeldbescheid Klage und bildete in Ihrer Bilanz auf den 31.12.2006 eine Rückstellung, die sich nach ihren Angaben aus geschätzten Prozesskosten sowie einem geschätzten steuerlich zu berücksichtigenden Abschöpfungsteil zusammensetzte.
Das FA erkannte die Rückstellung nur i.H.d. Prozesskosten an. Im Übrigen greife ein aus § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG folgendes Rückstellungsverbot. Die gegen die entsprechende Gewinnerhöhung gerichtete Klage hatte beim FG keinen Erfolg (FG Münster, Urteil vom 18.11.2011, 14 K 1535/09 F, Haufe-Index 2920105, EFG 2012, 1030).
Entscheidung
Auch die Revision beim BFH blieb erfolglos. Zwar gelte das Abzugsverbot für Geldbußen nicht für den durch die Buße abgeschöpften wirtschaftlichen Vorteil, wenn von diesem die ESt nicht abgezogen worden sei. Im Fall der KG habe die Geldbuße aber jedenfalls deshalb keinen Abschöpfungsteil umfasst, weil sie nach dem Grundbetrag berechnet und dann noch gekürzt worden sei.
Hinweis
1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG werden Geldbußen als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben behandelt. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, wie die Bußen berechnet werden. Der belastende Charakter der Buße soll nicht durch eine Steuerminderung kompensiert werden. Eine Ausnahme von dem Abzugsverbot musste der Gesetzgeber allerdings aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Fälle vorsehen, in denen mit der Buße der gesamte wirtschaftliche Vorteil aus dem ordnungswidrigen Verhalten abgeschöpft wird, ohne dabei die auf den Vorteil anfallende Ertragsteuer abzuziehen.
2. Bei von Organen der EU festgesetzten Geldbußen wird eine evtl. Ertragsteuerbelastung grundsätzlich nicht abgezogen. Dementsprechend müsste im Fall einer vorteilsabschöpfenden europäischen Geldbuße ein in Deutschland Steuerpflichtiger an sich einen Anspruch auf den Betriebsausgabenabzug haben.
Aus europäischer Sicht erscheint der Abzug allerdings als Bevorzugung in Deutschland steuerpflichtiger Unternehmen, weil derzeit kaum ein anderer – derzeit möglicherweise überhaupt kein anderer – Mitgliedstaat einen solchen Abzug zulässt. Es wird z.T. die Auffassung vertreten, Deutschland verstoße insoweit gegen seine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV und verletze das Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV.
3.Die Vereinbarkeit mit Europarecht kann aber nur infrage stehen, wenn und soweit die Geldbuße der Vorteilsabschöpfung dient. Bei Geldbußen wegen Kartellverstößen vertritt die EU-Kommission die Auffassung, dass diese nur der Ahndung und nicht der Vorteilsabschöpfung dienten. Daran können Zweifel bestehen, wenn der wirtschaftliche Vorteil Maßstab für die Bemessung der Geldbuße ist. Die Leitlinien der EU-Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen (ABlEU 2006, Nr. C 210, 2) enthalten ein mehrstufiges Verfahren, in dem die wettbewerbswidrig erzielten Gewinne nur auf einer zweiten Stufe zur Erhöhung eines auf der ersten Stufe ermittelten Grundbetrags berücksichtigt werden. Daraus hat der BFH den Schluss gezogen, dass ein Bußgeld, das nur nach dem Grundbetrag der ersten Stufe bemessen worden ist, keinen Abschöpfungsanteil enthalten kann. Dann sind die Voraussetzungen für einen Betriebsausgabenabzug nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG ohnehin nicht erfüllt. Es kommt also nicht zu einem möglichen Konflikt zwischen deutschem und europäischem Recht.
Ob ein solcher Konflikt bei einem erhöhten Bußgeld vorliegt und wie er ggf. gelöst werden muss, brauchte der BFH hier nicht zu entscheiden. Denn das streitige Bußgeld war nur nach dem – zudem noch gekürzten – Grundbetrag berechnet ...