Leitsatz
1. Vertragsbeziehungen zwischen verschwägerten Personen unterliegen als Angehörigenverträge einer Fremdvergleichskontrolle.
2. Eine rückwirkend auf den Vertragsbeginn vereinbarte Verzinsung eines zunächst unverzinslich gewährten Darlehens ist (bilanz-)steuerrechtlich unbeachtlich, sofern diese Vereinbarung erst nach dem Bilanzstichtag getroffen wird.
3. Gegen die Höhe des Abzinsungssatzes für unverzinsliche Verbindlichkeiten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG bestehen für das Jahr 2010 keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Klägerin ist gewerblich tätig. In den Jahren 2010/2011 errichtete sie ein Wohn- und Geschäftshaus, das seit der Fertigstellung überwiegend betrieblich genutzt wird. Zur Finanzierung wurden ihr von ihrem in Russland ansässigen Schwager sowie einem ebenfalls dort ansässigen Dritten zwei Darlehen i.H.v. insgesamt 0,5 Mio. EUR gewährt. Die zugrunde liegenden Verträge sahen jeweils eine Rückzahlung ab Oktober 2030 innerhalb von 15 Jahren in gleichmäßigen Raten vor. Die vom Vertragsformular vorgesehene Passage "Zinssatz und Zinszahlungen" wurde jeweils gestrichen. Die Klägerin passivierte beide Darlehen vollumfänglich zum Nominalbetrag. Im November 2012 reichte die Klägerin zwei Schriftstücke ein, die das Datum des 10.8.2012 tragen und in denen unter Bezugnahme auf die ursprünglichen Darlehensverträge eine ab dem 1.1.2012 beginnende Verzinsung von 2 % festgelegt wurde.
Das FA sah die Darlehen als unverzinsliche Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG an. Es zinste sie zum 31.12.2010 ab und erhöhte insoweit den Gewinn. Im Einspruchsverfahren trug die Klägerin vor, die Darlehensverträge seien rückwirkend aufgehoben und durch neue Verträge, die von Beginn an eine Verzinsung vorsähen, ersetzt worden. Hierzu legte sie Verträge vor, die das Datum des 14.10.2009 bzw. 22.1.2010 tragen. Beide Verträge weisen die ursprünglichen Valuten aus und enthalten einen Jahreszinssatz von 1 %. Die nach dem im Wesentlichen erfolglosen Vorverfahren erhobene Klage wurde vom FG abgewiesen (FG Köln, Urteil vom 1.9.2016, 12 K 3383/14, Haufe-Index 11032532, EFG 2017, 1412).
Im Revisionsverfahren machte die Klägerin u.a. geltend, eine Abzinsung der Verbindlichkeiten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG sei verfassungswidrig.
Entscheidung
Die Revision war begründet und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dieses hatte keine ausreichenden Feststellungen zu der entscheidungserheblichen Frage getroffen, ob der zwischen der Klägerin und ihrem Schwager geschlossene Darlehensvertrag den besonderen Anforderungen an die steuerliche Anerkennung von Angehörigenverträgen genügt und daher überhaupt als betriebliche Verbindlichkeit, die einer Abzinsung unterliegen könnte, anzusehen ist.
Hinweis
Dieses Urteil befasst sich mit drei unterschiedlichen Aspekten.
1. Der erste Aspekt ist die steuerliche Anerkennung eines betrieblich eingesetzten Darlehens, das von nahen Angehörigen, zu denen auch verschwägerte Personen zählen, gewährt wird.
Die Zuordnung zum Betriebsvermögen fordert im Hinblick auf den bei Angehörigen vielfach fehlenden natürlichen Interessengegensatz, dass der zugrunde liegende Vertrag unter Fremdvergleichsaspekten steuerrechtlich anzuerkennen ist. Die entsprechende Prüfung knüpft an die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten an. Dabei wird vorausgesetzt, dass die vertraglichen Hauptpflichten klar und eindeutig vereinbart sowie entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt werden. Jedoch schließt nicht jede geringfügige Abweichung einzelner Sachverhaltsmerkmale vom Üblichen die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus. Vielmehr sind einzelne Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, ob sie den Rückschluss auf eine privat veranlasste Vereinbarung zulassen. Dazu gehört auch die Beurteilung, ob die gewählte Gestaltung die gegenseitigen Vertragschancen und -risiken ausgewogen verteilt hat.
2. Eine nachträgliche Anpassung bzw. Neugestaltung von Darlehensbedingungen kann die Beurteilung fremdüblicher Vereinbarungen nicht beeinflussen. Aufgrund des im Bilanzsteuerrecht geltenden Stichtagsprinzips hat eine nachträgliche Verzinsungsabrede nur dann Relevanz für den infrage stehenden Stichtag, wenn die Vereinbarung eben bis zu jenem Stichtag getroffen wurde. Änderungen, die erst nach dem Bilanzstichtag vereinbart werden, wirken als wertbegründende Ereignisse nicht zurück, selbst wenn die Vereinbarung vor der Bilanzaufstellung getroffen worden sein sollte.
3. Abweichend von § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB sind Verbindlichkeiten für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG unter sinngemäßer Anwendung von § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen und mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen. Die von weiten Teilen in der Literatur erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen die Höhe ...