Leitsatz
§ 10d Abs. 1 Satz 5 und 6 EStG lässt unabhängig von den allgemeinen Korrekturvorschriften der AO zu, den Verlustrücktrag zu ändern, wenn im Verlustentstehungsjahr oder im Rücktragsjahr die Bescheide nach anderen Vorschriften geändert werden. Das Wahlrecht besteht bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung des zu ändernden Jahres. Die anders lautende Bestimmung in R 115 Abs. 5 Satz 1 und 2 EStR widerspricht der gesetzlichen Regelung und ist daher nicht anzuwenden.
Sachverhalt
Die Klägerin erzielte im Jahr 2002 saldiert einen Verlust von 46.000 EUR, der nach der ausdrücklichen Angabe der Klägerin in der Steuererklärung nicht auf das Jahr 2001 zurückgetragen werden sollte. Im Mai 2004 wurde ein erklärungsgemäßer Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2002 erlassen. Im Einkommenssteuerbescheid 2003 vom Juni 2004 wurde der Verlustvortrag in voller Höhe von 46.000 EUR berücksichtigt und eine Einkommenssteuer von 12.800 EUR festgesetzt. In diesem Steuerbescheid wurde ein ermäßigt besteuerter Veräußerungsgewinn festgesetzt. Nach einem Einspruchsverfahren wurde der Veräußerungsgewinn als nicht in diesem Jahr angefallen behandelt, sodass die Einkommenssteuer auf 0 EUR sank. Im Anschluss beantragte die Klägerin nunmehr, den in Höhe von 6.000 EUR für das Jahr 2003 nicht mehr benötigten Verlustvortrag - abweichend von den ursprünglichen Angaben - vom Verlustentstehungsjahr 2002 auf das Vorjahr 2001 zurückzutragen. Mit Verweis auf die Bestandskraft des Verlustfeststellungsbescheides zum 31.12.2002 verweigerte das Finanzamt die Korrektur des Einkommenssteuerbescheides 2001.
Entscheidung
Das Finanzgericht gab der Klägerin in vollen Umfang Recht. § 10d Abs. 1 Satz 5 und 6 EStG sind eigenständige Korrekturvorschriften, die uneingeschränkt greifen, wenn aufgrund von Fehlerkorrekturen steuerlich entweder im Verlustentstehungsjahr oder im Verlustrücktragsjahr etwas geändert wird. Korrekturgrund ist allein, dass in einem der beiden Jahre Rechtsfehler nach anderen Vorschriften oder im Laufe eines Rechtsmittelsverfahren zu einer Änderung der Steuer führen. Diese gesetzliche Regelung hat den Sinn, dass der Steuerpflichtige den Verlustrücktrag stets steueroptimal einsetzen kann. Dieses Ziel wird nicht erreicht, wenn der einmal festgelegte und seinerzeit unter den gegebenen Umständen optimal steuerwirksame Verlustrücktrag infolge von Änderungen der Besteuerungsgrundlagen ganz oder teilweise ins Leere läuft. Aus diesen Grund hat der BFH zu den damals gültigen (und identischen) Regelungen in § 10d Satz 2 und 3 EStG mit Urteil vom 1.9.1998 (VIII R 4/97, BFH/NW 1999 S. 599) entschieden, dass der Steuerpflichtige in einem solchen Fall unabhängig von den allgemeinen Korrekturvorschriften in der AO über den Verlustvortrag neu verfügen kann. Zweck der Vorschriften ist es allein, dass für die Steuerpflichtigen unter zulässigerweise geänderten Umständen wiederum ein steueroptimales Ergebnis erreicht wird. Begrenzt wird diese garantierte Belastungsminimierung allein durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung für das Verlustrücktragsjahr bzw. -entstehungsjahr. Die entgegenstehende Regelung in den Einkommensteuerrichtlinien lässt sich mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbaren und ist daher zu verwerfen.
Hinweis
Das Finanzgericht bestätigte seine Auffassung, die es bereits im Urteil vom 30.1.2001 (Az: 13 K 6855/00) zum Ausdruck gebracht hatte. Es hat die Revision zugelassen, die unter dem Aktenzeichen XI R 46/06 auch eingelegt wurde. Mit Blick auf das zur Problematik ergangene BFH-Urteil aus dem Jahr 1998 dürften der Revision des Finanzamtes keine großen Chancen eingeräumt werden. Dass es die Finanzverwaltung diesmal auf eine Revision ankommen ließ, ist allein aus folgendem Grund verständlich: In der Literatur haben sich nicht weniger als vier verschiedene Meinungen zur Problematik herausgebildet. Fachleute tun sich anscheinend schwer damit, dass angesichts eines eindeutigen Gesetzestextes und einer klaren gesetzgeberischen Intention auch genau eine Lösung richtig ist, nämlich die wortwörtliche Auslegung und damit die einfachste: Sobald die Korrektur von Rechtsfehlern im Verlustrücktragsjahr oder im Verlustentstehungsjahr nachträglich verhindern, dass die einmal ausgeübte Wahl des Steuerpflichtigen zur Steueroptimierung des Verlustrücktrages zum ursprünglich gewünschten Ergebnis führt, ist bis zur Festsetzungsverjährung der zu korrigierenden Bescheide der Verlustrücktrag nach Wunsch des Steuerpflichtigen zu ändern. So einfach und klar steht es im § 10d Satz 5 und 6 EStG und so einfach könnten Finanzverwaltung und Kommentatoren das Gesetzes verstehen. Dass es nicht auf die Bestandskraft des Verlustfeststellungsbescheides ankommen kann, leuchtet nämlich unmittelbar ein: § 10d Abs. 1 Satz 6 EStG wäre sonst vollkommen überflüssig, weil im Rahmen der Rechtsmittelfrist jeder Bescheid geändert werden kann und es einer eigenständigen Korrekturvorschrift sonst überhaupt nicht bedarf.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil vom 2...