Ewald Dötsch, Prof. Dr. Franz Dötsch
Leitsatz
Hat das FA in dem Feststellungsbescheid für das Jahr 01 einen Entnahmegewinn erfasst, dessen Herabsetzung mit der Klage erstrebt wird, und erlässt das FA während des Klageverfahrens mit der Begründung einen dem Klagebegehren entsprechenden Änderungsbescheid für das Jahr 01, dass die Entnahme richtigerweise im Jahr 02 zu berücksichtigen sei, dann ist die nachfolgende Erfassung des Entnahmegewinns in einem Änderungsbescheid für das Jahr 02 gem. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 unter der Voraussetzung zulässig, dass die Entnahme bei zutreffender Beurteilung tatsächlich in diesem Jahr getätigt worden ist. Soweit in dem Feststellungsbescheid für das Jahr 01 noch ein Entnahmegewinn erfasst ist, kann der Feststellungsbescheid für das Jahr 01 sodann auf Antrag gem. § 174 Abs. 1 AO 1977 berichtigt werden.
Normenkette
§ 174 Abs. 1 und 4 AO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine KG, nutzte für ihre betrieblichen Zwecke ein Grundstück, das zum Sonderbetriebsvermögen ihrer Kommanditisten gehörte. In ihrem Jahresabschluss für 1989 wies die Klägerin die Entnahme eines Teils dieses Grundstücks mit einem Entnahmewert (Teilwert) von 64 000 DM aus. Im Gewinnfeststellungsbescheid 1989 erhöhte das FA den Entnahmewert auf 168 000 DM. Mit der dagegen gerichteten Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter, die Entnahme lediglich mit 64 000 DM zu bewerten.
Das FA vertrat nunmehr den Standpunkt, die Entnahme sei nicht schon 1989, sondern erst im Streitjahr 1990 erfolgt. Das FA erließ deshalb einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 1989, durch den es dem Klagebegehren entsprach; in 1989 blieb lediglich eine Entnahme von 64 000 DM erfasst. Der Bescheid enthält die Erläuterung, die Stattgabe beruhe auf der geänderten Auffassung des FA, "wonach in 1989 keine Entnahme stattgefunden habe".
Anschließend änderte das FA nach § 174 Abs. 4 AG den bestandskräftigen Gewinnfeststellungsbescheid 1990, indem es in diesem Jahr die Grundstücksentnahme mit 168 000 DM erfasste. Das FG gab der dagegen erhobenen Klage statt (EFG 2001, 58). Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidung
Der BFH verstehe § 174 Abs. 4 Satz 1 AO in ständiger Rechtsprechung als eine gegenüber den Regelungen des § 174 Abs. 1 bis 3 AO eigenständige Änderungsnorm, die nicht auf die Fälle der alternativen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts beschränkt sei. Entgegen der Ansicht des FG setze eine Änderung nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO daher nicht voraus, dass der Sachverhaltskomplex in dem Bescheid, der aufgrund des Rechtsbehelfs oder Antrags des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert oder aufgehoben worden sei, überhaupt nicht mehr berücksichtigt worden sei.
Sollte sich deshalb der vom FA vertretene Standpunkt, die Entnahme des Teilgrundstücks sei erst im Streitjahr 1990 erfolgt, als richtig erweisen, wäre die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids für 1990 nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO zulässig. Denn bei diesem Sachverhalt wäre der Feststellungsbescheid 1989 aufgrund einer irrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts, nämlich des Sachverhaltskomplexes "Entnahme des Teilgrundstücks", ergangen. Der Entnahmegewinn wäre zu Unrecht in dem Feststellungsbescheid für 1989 erfasst worden. Dieser Feststellungsbescheid sei während des Klageverfahrens aufgrund des Rechtsbehelfs der Klägerin (Klage) zu ihren Gunsten geändert worden. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO verlange nicht, dass dem Rechtsbehelf oder Antrag des Steuerpflichtigen aus den von ihm geltend gemachten Gründen entsprochen worden sein müsse. Es reiche vielmehr aus, dass die Änderung durch den Rechtsbehelf oder Antrag des Steuerpflichtigen veranlasst worden sei.
Die teilweise Doppelerfassung der Entnahme in 1989 und 1990 könne dadurch beseitigt werden, dass der Gewinnfeststellungsbescheid 1989 auf Antrag der Klägerin nach § 174 Abs. 1 AO geändert werde.
Hinweis
1. Das Besprechungsurteil folgt der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach § 174 Abs. 4 AO nicht das Vorliegen eines "negativen Widerstreits" (eines wechselseitigen Ausschließlichkeitsverhältnisses) erfordere (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 24.11.1987, IX R 158/83, BStBl II 1988, 404; vom 2.8.1994, VIII R 65/93, BStBl II 1995, 264; vom 18.2.1997, VIII R 54/95, BStBl II 1997, 647).
Verlangt man hingegen mit Teilen der Literatur (vgl. z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung, 16. Aufl., § 174 Tz. 42; v. Wedelstädt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 174 AO Rz. 104) für die Anwendung des § 174 Abs. 4 AO, dass durch die vorausgegangene Aufhebung oder Änderung (hier: des Gewinnfeststellungsbescheids 1989) der "bestimmte Sachverhalt" (hier: Grundstücksentnahme) nunmehr ohne steuerliche Regelung ist (= negativer Widerstreit), scheidet diese Bestimmung im Streitfall aus.
2. Das Besprechungsurteil legt das Erfordernis des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO, dass die Änderung oder Aufhebung des Bescheids zugunsten des Steuerpflichtigen "auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen" erfolgt sein muss, ...