Leitsatz
Die Herabsetzung der Gegenleistung i.S. des § 16 Abs. 3 GrEStG ermöglicht keine Änderung der festgesetzten Grunderwerbsteuer als rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
Normenkette
§ 16 Abs. 3 und Abs. 4 GrEStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb im August 2007 Grundvermögen. Der Erwerb wurde dem FA angezeigt. Das FA setzte dafür gegen die Klägerin ausgehend von der vereinbarten Gegenleistung im Jahr 2007 bestandskräftig Grunderwerbsteuer fest. Im Februar 2009 wurde aufgrund eines Vergleichs ein Teil des Kaufpreises an die Klägerin zurückgezahlt. Ihren deshalb am 13.9.2012 gestellten Antrag auf Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO lehnte das FA ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 11.4.2018, 4 K 103/18, Haufe-Index 11875832, EFG 2018, 1461).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Klägerin unter Berücksichtigung der in den Praxis-Hinweisen genannten Grundsätze als unbegründet zurück. Die Klägerin habe den für § 16 Abs. 3 GrEStG notwendigen Antrag nicht innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) gestellt. Die Frist habe nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2007 zu laufen begonnen und mit Ablauf des 31.12.2011 geendet. Die Jahresfrist des § 16 Abs. 4 GrEStG sei noch innerhalb der regulären Festsetzungsfrist abgelaufen. Ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liege nicht vor.
Hinweis
Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit den grunderwerbsteuerrechtlichen Folgen einer nachträglichen Kaufpreisherabsetzung.
1. Die maßgebende Rechtsgrundlage ist dabei § 16 Abs. 3 und Abs. 4 GrEStG. § 16 Abs. 3 GrEStG lässt als spezialgesetzliche Korrekturvorschrift zu § 1 GrEStG unter den dort näher aufgeführten Voraussetzungen auf Antrag die Änderung einer Steuerfestsetzung zu, wenn die Gegenleistung nach Entstehung der Steuer herabgesetzt wird.
Eine nachträgliche Herabsetzung der Gegenleistung erlaubt aber nur dann eine Änderung der Steuerfestsetzung, wenn die Herabsetzung innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer stattfindet (§ 16 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) oder wenn die Herabsetzung (Minderung) aufgrund des § 437 BGB vollzogen wird (§ 16 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG). Tritt ein Ereignis ein, das nach § 16 Abs. 3 GrEStG die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet, endet die Festsetzungsfrist (§§ 169 bis 171 AO) insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Eintritt des Ereignisses (§ 16 Abs. 4 GrEStG).
2. Die Herabsetzung der Gegenleistung i.S.d. § 16 Abs. 3 GrEStG ermöglicht nach der insoweit zwingenden gesetzlichen Systematik keine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das folgt aus § 16 Abs. 4 GrEStG und § 175 Abs. 1 Satz 2 AO und entspricht dem Grundsatz, dass die steuerrechtliche Wirkung für die Vergangenheit autonom für das jeweilige materielle Steuergesetz zu beurteilen ist.
Wäre ein Ereignis, das nach § 16 Abs. 1 bis 3 GrEStG die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung begründet, namentlich die Herabsetzung der Gegenleistung, ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, liefe § 16 Abs. 4 GrEStG ausnahmslos leer. Denn mit dem Ende des Kalenderjahres einer Kaufpreisherabsetzung i.S.d. § 16 Abs. 3 GrEStG würde dann die vierjährige Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO erneut beginnen. Damit bedürfte es des § 16 Abs. 4 GrEStG nicht, wonach die Festsetzungsfrist (§§ 169 bis 171 AO) lediglich nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Eintritt des Ereignisses endet. Eine Auslegung, mit der eine gesetzliche Vorschrift jeglichen Anwendungsbereich verlöre, widerspräche aber der gesetzlichen Systematik, kann von Gesetzes wegen nicht gewollt sein und wäre offenkundig unzutreffend.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.7.2020 – II R 15/18