Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Ist aus der mit der Steuererklärung eingereichten Gewinnermittlung nicht erkennbar, ob die private PKW- und Telefonnutzung erklärt wurde, kann bei erst nachträglichem Bekanntwerden dieser Tatsachen eine Änderungsmöglichkeit des ESt-Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfolgen.
Sachverhalt
Die Klägerin erzielte in den Jahren 2015 und 2016 gewerbliche Einkünfte und ermittelte den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG. Sie übermittelte die ESt-Erklärungen per Elster elektronisch an das Finanzamt. Zudem reichte sie mit Excel erstellte Einnahmenüberschussrechnungen in Papierform ein.
Nachdem das Finanzamt die Veranlagungen erklärungsgemäß durchgeführt hatte, stellte es im Jahr 2019 im Rahmen einer Betriebsprüfung unter anderem fest, dass eine Versteuerung der privaten PKW-Nutzung bislang unterblieben und ein privater Nutzungsanteil für den Telefon- und Internetanschluss nicht versteuert worden war. Es erhöhte daher jeweils den Gewinn um die privaten Nutzungsanteile und erließ nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte ESt-Bescheide.
Die hiergegen eingelegten Einsprüche, mit denen die Klägerin vornehmlich geltend machte, das Finanzamt habe seine Ermittlungspflicht verletzt, hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Das FG hat dem Finanzamt Recht gegeben und entschieden, dass hier vom Vorliegen neuer steuererhöhender Tatsachen auszugehen war, die zudem aus den eingereichten Gewinnermittlungen nicht erkennbar waren.
Die Klägerin habe insoweit selbst sowohl in der Klageschrift als auch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie den Ansatz einer privaten Mitbenutzung des Betriebs-PKW aufgrund mangelnder Rechtskenntnisse nicht gesondert bewertet habe.
Das Finanzamt habe auch seine Ermittlungspflicht nicht verletzt. Die bloße Kenntnis, dass Kosten für ein Betriebsfahrzeug bzw. betriebliche Telefon- und Internetkosten steuerlich geltend gemacht würden, verpflichte das Finanzamt nicht zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen hinsichtlich einer etwaigen Privatnutzung. Das Finanzamt habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin alle Betriebseinnahmen vollständig erklärt habe.
Hinweis
Wird dem Finanzamt eine Tatsache nachträglich bekannt, so ist eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn die Tatsache dem Finanzamt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht (§ 88 AO) nicht verborgen geblieben wäre. Eindeutigen Steuererklärungen muss das Finanzamt allerdings nicht mit Misstrauen begegnen; es kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Nur wenn sich Unklarheiten oder Zweifelsfragen aufdrängen, ist das Finanzamt zu Ermittlungen verpflichtet. Andererseits muss auch der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten (§ 90 AO) erfüllt haben.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil v. 23.08.2021, 9 K 1968/20 E