Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung eines Einkommensteuerbescheides wegen neuer Tatsachen
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Finanzamt muss eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen begegnen, sondern kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen.
2. Wenn sich Unklarheiten oder Zweifelsfragen aufdrängen, ist das Finanzamt zu Ermittlungen verpflichtet.
3. Die Nichterklärung eines Privatanteils für die Kfz-Nutzung und die Telefonnutzung verwirklicht den Tatbestand der versuchten Steuerhinterziehung. Denn auch einem steuerlichen Laien ist bewusst, dass er nicht alle tatsächlichen Kosten für ein auch privat genutztes betriebliches Fahrzeug oder Telefon vollständig steuermindernd geltend machen kann.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 177 Abs. 2, § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerbescheide 2015 und 2016 nach § 173 der Abgabenordnung (AO) geändert werden können.
Die Klägerin erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus der Erbringung von kaufmännischen Dienstleistungen (Buchhaltung, Sekretariat). Sie ermittelte ihren Gewinn gem. § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahmen-Überschussrechnung, ihre Leistungen waren umsatzsteuerpflichtig. Im Jahr 2015 unterlag sie letztmalig der Kleinunternehmerregelung. Die Klägerin erwarb im Dezember 2015 ein Fahrzeug VW T4 Multivan zu einem Kaufpreis in Höhe von 5.600 €. Das Fahrzeug nutzte sie sowohl betrieblich als auch privat, ein Fahrtenbuch führte die Klägerin nicht.
In ihrer am 02.10.2016 per Elster elektronisch übermittelten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 erklärte die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 16.073 €, in ihrer am 24.10.2017 per Elster elektronisch ermittelten Einkommensteuererklärung 2016 erklärte die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 14.971 €. Weiterhin reichte sie mit dem Programm Excel erstellte und auf Papier ausgedruckte Einnahmen-Überschussrechnungen ein.
Der Beklagte folgte den abgegebenen Steuererklärungen im Hinblick auf den Ansatz der Einkünfte aus selbständiger Arbeit und erließ mit Datum vom 25.10.2016 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 und mit Datum vom 09.02.2018 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016. Für das Jahr 2016 erließ der Beklagte am 26.02.2018 auf Antrag der Klägerin (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) AO) einen Änderungsbescheid, in dem er den Entlastungsfreibetrag zur Alleinerziehende berücksichtigte.
Im Jahr 2019 führte der Beklagte für die Veranlagungszeiträume 2015 bis 2017 eine Betriebsprüfung (Bp) durch. Dabei stellte der Beklagte fest, dass im Jahr 2016 lediglich Netto-Erlöse (ohne Umsatzsteuer) als Einnahmen erfasst worden waren und er erhöhte die Betriebseinnahmen um die vereinnahmte Umsatzsteuer in Höhe von 4.582,80 € (Tz. 2.3.1.1 des Bp-Berichts vom 09.09.2019). Zugleich stellte der Beklagte fest, dass im den Jahren 2016 auch keine Beträge für gezahlte Umsatzsteuer in Höhe von 4.014,93 € (Tz. 2.3.2.2 des Bp-Berichts vom 09.09.2019) und Vorsteuer in Höhe von 567,87 € (Tz. 2.3.2.1 des Bp-Berichts vom 09.09.2019) als Betriebsausgaben erfasst worden waren, der Beklagte erhöhte die Betriebsausgaben um die gezahlte Umsatzsteuer und Vorsteuer in Höhe von 4.582,80 €. Zudem stellte der Prüfer fest, dass eine Versteuerung der privaten PKW-Nutzung für das Fahrzeug VW T4 Multivan nach der 1%-Regelung bislang unterblieben war. Ausgehend von einem Bruttolistenpreis des Fahrzeugs in Höhe von 26.500 € ermittelte der Beklagte zusätzliche Betriebseinnahmen in Höhe von 265,00 € (2015) und 3.663,36 € (2016). Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf Tz. 2.4.3 des Bp-Berichts vom 09.09.2019 sowie die Anlage 2 zum Bp-Bericht verwiesen. Ferner stellte der Prüfer fest, dass im Prüfungszeitraum Aufwendungen für einen Telefon- und einen Internetanschluss gewinnmindernd geltend gemacht worden waren, jedoch ein privater Nutzungsanteil nicht versteuert worden war. Für die Nutzungsentnahme setzte der Prüfer einen zusätzlichen Überschuss in Höhe 238,00 € in den Streitjahren an (Tz. 2.5 des Bp-Berichts vom 09.09.2019). Zudem stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin neben tatsächlichen KfZ-Kosten (u.a. für Reparaturen, KfZ-Steuer und Versicherung) auch – anstelle der tatsächlichen Treibstoffkosten – pauschal ermittelte KfZ-Kosten in Höhe von 0,30 € pro km geltend gemacht hatte. Vor dem Hintergrund, dass der Klägerin zweifelsfrei Fahrtkosten im Zusammenhang mit ihrer betrieblichen Tätigkeit entstanden waren, verständigte sich der Prüfer mit der Klägerin dahingehend, dass die Fahrtkosten im Schätzungswege berücksichtigt werden sollten. In den Streitjahren führte dies dazu, dass der Prüfer um 1.167,30 € (2015) bzw. 1.036,80 € (2016) niedrigere Fahrtkosten berücksichtigte, wegen der Einzelheiten wird auf Tz. 2.6 des Bp-Berichts vom 09.09.2019 verwiesen. Darüber hinaus vertrat die Bp die Auffassung, dass die geltend gemachte AfA in Höhe von 1.400 € nur zeitanteilig geltend gemacht werden könne. Da das Fahrzeug im Dezember 2...