Dr. Björn-Axel Dißars, Dr. Ulf-Christian Dißars
Leitsatz
Ein materieller Fehler kann auch zu Gunsten des Finanzamts berücksichtigt werden, wenn ein Steueranspruch verjährt ist.
Sachverhalt
Die Kläger wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger entfaltete dabei eine Vielzahl von wirtschaftlichen Aktivitäten. Unter anderem war er an einer Grundstücksgemeinschaft beteiligt, die das Grundstück in 1996 mit Gewinnveräußerte. Dieser Gewinn aus der Veräußerung wurde im Feststellungsbescheid nicht berücksichtigt. Weiterhin war der Kläger an einer GmbH & Still beteiligt. Hierbei wurde für den Kläger zunächst ein Verlust festgestellt, der später gestrichen wurde. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Dieser hatte schließlich Erfolg, so dass dem Kläger erneut ein Verlust zugewiesen wurde. Das beklagte Finanzamt änderte die Einkommensteuerfestsetzung gleichwohl nicht, da es der Ansicht war, dass hier die Regelung des § 177 AO Anwendung finde. Die Verlustberücksichtigung sei mit dem materiellen Fehler hinsichtlich der Nichtberücksichtigung des Veräußerungsgewinns zu saldieren. Der gegen die Ablehnung eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Auch mit der Klage gelangte die Kläger nicht zum Erfolg. Das Gericht entschied, dass sich das Finanzamt zutreffender Weise auf die Bestimmung des § 177 AO berufen habe. Zwar bestehe grundsätzlich die Verpflichtung, einen geänderten Grundlagenbescheid, hier den Bescheid über die Verlustzuweisung, im Einkommensteuerbescheid zu berücksichtigten. Dies gelte indes dann nicht, wenn die Anpassung unter Anwendung des § 177 Abs. 2 AO unterbleiben könne. Diese Bestimmung sei hier einschlägig. Bei der Tatsache, dass der Veräußerungsgewinn nicht erfasst worden sei, handele es sich um einen materiellen Fehler. Dieser sei - unabhängig von der Frage einer etwaigen Verjährung - mit den Änderungen zu Gunsten des Steuerpflichtigen saldierbar.
Hinweis
Die Entscheidung bietet die Gelegenheit, sich die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 177 AO vor Augen zu führen. Nach dieser Bestimmung kann ein materieller Fehler - also eine falsche Rechtsanwendung - zu einer Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheides führen. Dies kann zugunsten des Steuerpflichtigen(§ 177 Abs. 2) oder zu seinen Ungunsten erfolgen (§ 177 Abs. 1 AO). Ein materieller Fehler allein ist aber kein Grund für die Berichtigung eines Steuerbescheides. Ein materieller Fehler kann nur zur Gegenrechnung führen, wenn die Voraussetzungen einer Aufhebungs- oder Änderungsvorschrift oder des § 129 AO erfüllt sind. Die Möglichkeit einer Berichtigung wegen eines materiellen Fehlers ist aber bei jeder Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides zu prüfen und zu beachten. Ferner ist es wichtig zu erkennen, dass § 177 Abs. 3 AO einen Berichtigungsrahmen normiert. Demnach sind Änderungen zu Gunsten und zu Ungunsten des Steuerpflichtigen zu saldieren. Unter Anwendung dieser Regelung ist das Urteil des Finanzgerichts zutreffend. Auch die Tatsache, dass ein Anspruch verjährt ist, hindert nicht die Anwendung der Bestimmung (vgl. Frotscher, in Schwarz, AO, § 177 AO Rz. 22), da nach dem Wortlaut der Bestimmung nur eine ursprünglich entstandene Steuer gegeben sein muss.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, da Revision eingelegt wurde. Das Aktenzeichen des BFH ist X R 24/13.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil vom 30.11.2011, 7 K 10263/09