Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Änderungen wegen nachträglich bekannt gewordener neuer Tatsachen oder Beweismittel i. S. v. § 173 AO sind nach wie vor fester Bestandteil der verfahrensrechtlichen Besteuerungspraxis. Dies gilt nicht nur für vom Finanzamt zu Lasten des Steuerpflichtigen durchgeführte Änderungen gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, sondern auch für Änderungsanträge des Steuerpflichtigen. Wer allerdings eine dem Finanzamt bislang nicht bekannte neue Tatsache im Rahmen eines Änderungsantrags zu seinen Gunsten präsentiert, muss gleichzeitig darlegen, dass ihn kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden trifft.
4.1 Begriff "Grobes Verschulden"
Grobes Verschulden liegt vor, wenn der Steuerpflichtige vorsätzlich (wissentlich und willentlich in Kenntnis des Erfolgs) oder grob fahrlässig, d. h. unter Verletzung der ihm persönlich zuzumutenden Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise handelt. Fehler eines beauftragten Steuerberaters sind dem Steuerpflichtigen zuzurechnen. Bei der Beurteilung des groben Verschuldens werden bei einem Steuerberater jedoch strengere Maßstäbe angelegt als bei einem steuerlich unversierten Laien.
Generell kann festgehalten werden, dass derjenige, der offenkundigen steuerlichen Pflichten (z. B. der Steuererklärungspflicht) nicht nachkommt, ebenso grob schuldhaft handelt wie derjenige, der ausdrücklich gestellte Fragen und Hinweise in amtlichen Erläuterungen nicht beachtet oder Fragen wider besseren Wissens verneint. Dagegen hat derjenige relativ gute Karten, der sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befindet oder der Vorgänge aus Rechtsunkenntnis unbeachtet lässt. Daher spricht das Unterlassen von Angaben zu einem im Erklärungsvordruck nicht vorgesehenen Punkt insbesondere dann gegen ein grob schuldhaftes Verhalten, wenn der Erklärungsvordruck den Eindruck erweckt, diese Angaben seien steuerlich nicht relevant.
4.2 Prüfung des groben Verschuldens
Bei Prüfung der Frage, ob grobes Verschulden vorliegt, sind folgende Grundsätze zu beachten:
- Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, die Erläuterungen zu Erklärungsformularen sorgfältig zu lesen und sie zu beachten, sofern sie für einen steuerlichen Laien klar, eindeutig und verständlich sind.
- Der steuerliche Laie ist grundsätzlich nicht verpflichtet, sachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen. Anders ist es jedoch, wenn sich ihm Zweifel aufdrängen (oder hätten aufdrängen müssen), ob er imstande ist, seinen steuerlichen Pflichten ohne fachkundigen Rat nachzukommen. Wer hier die Inanspruchnahme fachlicher Hilfe unterlässt, handelt regelmäßig grob fahrlässig.
- Wer dagegen aus steuerlicher Unkenntnis an der Komplexität und zunehmenden Verkomplizierung des Steuerrechts scheitert, kann mit einem Änderungsantrag auf nachträgliche Berücksichtigung neuer Tatsachen Erfolg haben. Voraussetzung ist, dass er nicht durch entsprechend eindeutige Hinweise in Erklärungsvordrucken oder Erläuterungen "bösgläubig" gemacht wurde.
4.3 Unbeachtlichkeit des groben Verschuldens
Eine Besonderheit beinhaltet § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO. Demnach ist das grobe Verschulden des Steuerpflichtigen unbeachtlich, wenn die neuen Tatsachen und Beweismittel zu Gunsten des Steuerpflichtigen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln zu Ungunsten des Steuerpflichtigen stehen.
In den Vergleich, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO)oder einer niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) Steuer führt, ist im Rahmen der Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht nur die festgesetzte Einkommensteuer, sondern auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen.
Einzubeziehen sind auch anzurechnende Abzugsbeträge. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einbeziehung der nacherklärten Kapitalerträge in die Veranlagung und die damit verbundene erhöhte Steuerfestsetzung nicht das Ziel des Änderungsbegehrens, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Erstattung der inländischen Abzugsbeträge ist. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids kann in diesen Fällen nur nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen.
Ferner sind in einen entsprechenden Vergleich auch die mit den nacherklärten Kapitalerträgen in Zusammenhang stehenden, anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge und EU-Quellensteuern einzubeziehen, deren Anrechnung und Erstattung erreicht werden soll. Auch in diesem Fall ist die begehrte Änderung des bestands...