Leitsatz
Ein Steuerbescheid kann auch dann nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden, wenn die Änderungsmöglichkeit vor Erlass des erstmaligen Steuerbescheids eingetreten ist.
Normenkette
§ 174 AO
Sachverhalt
Der Kläger veräußerte sein Restaurant-Unternehmen an seinen Bruder u.a. gegen einen festen Barpreis und eine Leibrente mit Wertsicherungsklausel. Besitz, Nutzen und Lasten gingen zum 1. Februar 1998 über. Der Berater erklärte einen Veräußerungsgewinn für das Jahr 1997, legt aber gegen die entsprechende Veranlagung erfolgreich Einspruch mit der Begründung ein, der Veräußerungsgewinn sei erst im Jahr 1998 entstanden.
Gegen die entsprechend angepassten Vorauszahlungen für 1998 legte der Kläger – wiederum erfolgreich – Einspruch mit der Begründung ein, ein Steuerpflichtiger, der seinen Betrieb gegen einen festen Barpreis und eine Leibrente veräußere, habe bezogen auf die Leibrente ein Wahlrecht, den entstandenen Gewinn sofort zu versteuern oder die Rentenzahlung als nachträgliche Betriebseinnahme zu behandeln. In der Einkommensteuererklärung 1998 wurden lediglich die Leibrenten als sonstige Einkünfte erklärt. Angaben zum Rechtsgrund des Rentenanspruchs fehlten; ebenso wenig wurde ein Veräußerungsgewinn erklärt.
Das FA veranlagte erklärungsgemäß, forderte in den Erläuterungen aber die Aufgabebilanz zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe an. Diese wurde nicht nachgereicht. Im Rahmen einer beim Bruder durchgeführten Außenprüfung gelangte das FA zu der Erkenntnis, dass eine sofortige Versteuerung des Veräußerungsgewinns im Jahr 1998 gewollt gewesen sei, und änderte – weil es eine Erklärung des Beraters des Klägers als Zustimmung entsprechend auslegte – gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO den ESt-Bescheid 1998.
Das FG (FG Köln, Urteil vom 19.06.2007, 7 K 3835/04, Haufe-Index 1776126, EFG 2007, 1304) hat die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit der Begründung abgewiesen, es sei zwar keine Änderungsmöglichkeit gem. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO gegeben gewesen, das FA habe aber den Einkommensteuerbescheid 1998 nach § 174 Abs. 4 AO ändern dürfen, da diese Vorschrift lediglich verlange, dass aufgrund eines Rechtsbehelfs oder eines Antrags des Steuerpflichtigen ein bereits ergangener Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert werde.
Entscheidung
Der BFH sah das ebenso und wies die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
Die Änderungsmöglichkeiten der §§ 172 ff. AO versuchen, den Konflikt zwischen materieller Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit aufzulösen. Eine Vorschrift, die – wegen der Einheitlichkeit des Lebenssachverhalts und des Interesses an seiner übereinstimmenden steuerrechtlichen Beurteilung – der zutreffenden Besteuerung den Vorrang vor dem Schutz des Vertrauens auf die Bestandskraft der Steuerfestsetzung gibt, ist § 174 Abs. 4 AO.
1. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 S. 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden.
2. Grund dieser Regelung ist, dass derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen muss. § 174 Abs. 4 AO regelt die verfahrensrechtlichen (inhaltlichen) Folgerungen aus einer vorherigen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten. Diese Aufhebung oder Änderung löst sodann "nachträglich" die Rechtsfolge des § 174 Abs. 4 AO aus, dass ein anderer Bescheid erlassen oder geändert werden kann.
3. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist nicht entscheidend, in welcher Reihenfolge die Steuerbescheide ergehen, die auf Betreiben des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert oder aufgehoben werden bzw. nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden sollen. Auf die Frage, ob die Änderungsmöglichkeit "nachträglich" nach Erlass des Steuerbescheids eingetreten ist, kommt es – anders als für die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hinsichtlich nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel – bei § 174 Abs. 4 AO nicht an.
4. Für eine einschränkende Auslegung der Vorschrift, die auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruht, sieht der BFH keinen Anlass. Zweck des § 174 Abs. 4 AO sei, nach antragsgemäßer Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen die in einem anderen Steuerbescheid gezogenen, unzutreffenden steuerlichen Folgerungen unter Durchbrechung der Bestandskraft richtigzustellen.
5. Der Steuerpflichtige wird auch nicht als schutzbedürftig angesehen, da er aufgrund des positiven Ergebnisses seines Rechtsmittels weiß, dass Folgerungen in anderen Steuerbescheiden für andere Veranlagungszeiträume bzw. Steuerarten zu ziehen sind.
6. Da § 174 Abs. 4 AO nach seinem eindeutigen Wortlaut auch nicht darauf abstellt, ...