Leitsatz
1. Eine über 300 Jahre alte Meistergeige, die im Konzertalltag regelmäßig bespielt wird, unterliegt einem technischen Verschleiß, der eine AfA auch dann rechtfertigt, wenn es wirtschaftlich zu einem Wertzuwachs kommt.
2. Bei Instrumenten, die bereits über 100 Jahre alt sind und die regelmäßig im Konzertalltag bespielt werden, kann die Restnutzungsdauer mit 100 Jahren angesetzt werden, sofern der Steuerpflichtige keine kürzere Nutzungsdauer darlegt und nachweist bzw. zumindest glaubhaft macht.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 6 und 7 EStG , § 7 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin, erste Konzertmeisterin in einem Philharmonischen Orchester, erwarb eine Geige "Jean-Baptiste Rogerius, Brescia 1693" zum Preis von rd. 250 000 DM. Sie benutzt die Meistergeige beruflich (rd. 190-mal pro Spielzeit/Jahr). Das FA lehnte eine AfA ab. Die Klägerin begehrte eine AfA i.H.v. 8242 DM (Nutzungsdauer: 30 Jahre). Das FG bejahte eine technische AfA dem Grund nach und ermittelte einen AfA-Betrag auf der Grundlage einer 50-jährigen Nutzungsdauer.
Entscheidung
Die Revision des FA war teilweise erfolgreich. Der BFH bejahte – wie das FG – eine technische AfA; er gewährte jedoch nur eine AfA auf der Grundlage einer 100-jährigen Restnutzungsdauer. Er wies zusätzlich darauf hin, dass es einem Steuerpflichtigen frei stehe, eine kürzere Nutzungsdauer nachzuweisen bzw. glaubhaft zu machen.
Hinweis
In der Praxis bestand Streit darüber, ob (und ggf. mit welchem AfA-Satz) antiquarische Arbeitsmittel abzuschreiben sind. Diese mitunter mehrere Jahrhunderte alten Instrumente werden regelmäßig so gut gepflegt und restauriert, dass sie auch heute noch technisch so gut bespielbar sind wie in der Zeit ihrer Herstellung.
Das FA vertrat die Auffassung, der Verschleiß dieser Meistergeigen (z.B. Stradivari, Amati) sei so gering, dass eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer nicht ermittelt werden könne. Diese Meinung übersieht indes, dass – wenn die Sondervorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG außer Betracht bleibt – dann allein die Grundaussage des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG zum Tragen kommt, nach der Aufwendungen für Arbeitsmittel Werbungskosten sind. Das bedeutet jedoch, dass die mitunter sehr hohen Aufwendungen sofort als Werbungskosten abzugsfähig wären.
Richtig ist fraglos, dass eine wirtschaftliche AfA hier ausscheidet, da Meistergeigen keinem wirtschaftlichen Geschmack unterliegen.
Allerdings kommt eine technische AfA in Betracht. Diese AfA scheidet auch nicht deshalb aus, weil es bei derartigen Meistergeigen zu einem Wertzuwachs kommt. Zwar wurde in der Rechtsprechung bei Kunstgegenständen regelmäßig keine technische AfA gewährt, weil solche in erster Linie als Sammlungs- und Anschauungsstücke dienen. Dies kann indessen nicht für Gebrauchsgegenstände gelten, die entsprechend ihrer jeweiligen Bestimmung (als Arbeitsmittel) genutzt werden.
Fraglich war zusätzlich, welche Restnutzungsdauer bei solchen Meistergeigen anzusetzen ist. Um der Praxis geeignete Maßstäbe an die Hand zu geben, hat der BFH ausgesprochen, dass keine Bedenken bestehen, bei neuen Meistergeigen eine typisierte Nutzungsdauer von 50 Jahren zu Grunde zu legen. Dies gilt jedoch grundsätzlich nicht für antiquarische Meistergeigen (Alter über 100 Jahre). Bei solchen Unikaten, die – wie im Streitfall – bereits bei Erwerb rd. 300 Jahre alt sind, erscheint eine Restnutzungsdauer von weiteren 100 Jahren angemessen. Ein Rückgriff auf den Absetzungszeitraum von 50 Jahren für Gebäude scheidet in solchen Fällen aus.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.1.2001, VI R 26/98