Ein allgemeines Recht auf Einsicht in die Akten der Steuerverwaltung gibt es im Festsetzungsverfahren nach wie vor nicht. Diese auf den ersten Blick etwas erstaunliche Tatsache wurde bei der Schaffung der AO 1977 ausdrücklich damit begründet, dass es im Besteuerungsverfahren nicht angebracht sei, ein solches zu gewähren. Zudem sei es auch nicht praktikabel, da der Schutz Dritter im steuerlichen Festsetzungsverfahren gewährleistet sein müsse. Ob diese Auffassung so heute, da dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine besondere Bedeutung zugemessen wird, noch aufrecht zu erhalten wäre, kann durchaus in Zweifel gezogen werden, zumal es in verschiedenen Verwaltungsverfahrensgesetzen durchaus das Recht auf Akteneinsicht gibt. Zwar ist es zutreffend, dass im Steuerrecht in einem besonderen Umfang höchst persönliche Daten geführt werden. Allerdings gilt dies in gleichem Maße etwa für das Sozialrecht, und dort gilt nach § 25 SGB X grundsätzlich ein Recht auf Einsicht, das nur im Einzelfall verweigert oder eingeschränkt werden kann.
Nach der derzeitigen Rechtslage lassen sich andere Rechtsnormen aber nicht analog heranziehen, um für das Besteuerungsverfahren ein allgemeines Akteneinsichtsrecht zu begründen. § 29 VwVG der für das allgemeine Verwaltungsrecht angewendet wird, kommt deshalb nicht in Betracht, weil diese Bestimmung für den Bereich des steuerlichen Verwaltungsverfahrens aufgrund von spezielleren Rechtsnormen nicht gilt. Gleiches gilt für § 19 Abs. 1 BDSG, aus den Landesdatenschutzgesetzen der Länder lässt sich gleichfalls kein gebundenes Recht auf Einsicht herleiten. Ausdrücklich abgelehnt hat der BFH einen Anspruch auf Akteneinsicht aus der (alten) EU-Richtlinie 95/46/EG, die den Bereich des Datenschutzes regelte.
Für die Bundesfinanzverwaltung kann sich allerdings grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht aus dem Informationsfreiheitsgesetz ergeben. Ob in den einzelnen Ländern aufgrund der Informationsfreiheitsgesetze der Länder dieses ebenso gilt, ist strittig. In jedem Fall wäre aber stets das Steuergeheimnis als Grenze des Einsichtsrechts zu beachten, so dass sich in letzter Konsequenz keine wesentlich andere Rechtslage als nach AO ergibt. Zudem ist Akteneinsicht nur gegen Kostenersatz zu gewähren. Aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben ergibt sich kein Einsichtsrecht oder Auskunftsrecht.
Die aktuelle Rechtslage hat allerdings nicht zur Folge, dass eine Akteneinsicht im Festsetzungsverfahren schlechthin als unzulässig anzusehen ist. Der Steuerpflichtige hat nämlich nach allgemeiner und zutreffender Ansicht durchaus einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung dahingehend, ob ihm im Einzelfall Akteneinsicht gewährt werden kann oder nicht. Abgeleitet wird dieser Anspruch aus § 91 AO, der im Festsetzungsverfahren grundsätzlich ein Recht auf Gehör des Betroffenen vor dem Erlass eines Verwaltungsakts normiert.
Da ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung besteht, kann die Entscheidung bei einer Ablehnung der Akteneinsicht mit einem Einspruch angefochten werden. Welche Klage anschließend beim Finanzgericht zu erheben ist, ist umstritten. Ein Teil der Literatur hält eine Verpflichtungsklage für zutreffend, ein anderer die sonstige Leistungsklage. In der Praxis sollte der Rechtsmittelbelehrung des Finanzamts in der Einspruchsentscheidung gefolgt werden.
Wann Einsicht in die Akten gewährt werden kann und in welchen Fällen nicht, lässt sich dabei nicht allgemein formulieren, sondern ist abhängig von den Umständen im jeweiligen Einzelfall. Abgelehnt wurde von den Finanzgerichten aber etwa eine Akteneinsicht aus rein wirtschaftlichen Motiven oder zur Vorbereitung eines Zivilprozesses. Abzuwägen sind bei der Entscheidung im jeweiligen Einzelfall stets die Interessen des Steuerpflichtigen und das Interesse der Verwaltung. Das Interesse der Verwaltung besteht dabei vor allem in einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang. Geklärt erscheint wohl, dass ein Insolvenzverwalter nur ein eingeschränktes Akteneinsichtsrecht hat, wenngleich Einzelheiten nach wie vor offen sind. Dies gilt auch nach dem Inkrafttreten der §§ 32a ff. AO.
Auch aus den Bestimmungen der DSGVO lässt sich kein allgemeines Akteneinsichtsrecht im Verwaltungsverfahren herleiten.
Keinen gebundenen Anspruch auf eine Akteneinsicht hat der Abwickler einer Steuerberaterpraxis.
Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass der Begriff der Akte auch stets die elektronischen Dokumente umfasst, die im Zuge der Elektronisierung des Rechtsverkehrs dem Finanzamt eingereicht werden. Auch elektronisch angelegte Akten sind von einer Akteneinsicht umfasst.