Dr. Mario Stephan, Marco Maisenbacher
Zusammenfassung
- Das Großthema Digitalisierung ist und bleibt ein zentrales Thema für alle Unternehmen in allen Branchen und wird auch in Zukunft noch hohe Investitionen in Technologien und Kompetenzentwicklung fordern.
- Verstärkt durch die aktuell schwierige Lage fast aller Unternehmen wächst der Anspruch an die Realisierung von messbaren, finanziellen Ergebnissen, was zu einem Wildwuchs von isolierten "Piloten" der Digitalisierung und nur wenig nachweisbaren Ergebnisbeiträgen geführt hat.
- Die Lösung wurde lange in der breiten Vernetzung von algorithmischen Modellen mit der Vision eines vollständig "algorithmisierten" Target Operating Modells (A-TOMS) gesehen. Die weitere Erfahrung zeigt, dass auch dieser Ansatz nicht in jedem Fall die gewünschten Ergebnisbeiträge liefert und es nur bestimmte Bereiche sind, die von einer entsprechenden Algorithmisierung profitieren.
- Das Zielbild eines durchgängig mit Algorithmen unterstützen und vernetzten A-TOMs bleibt damit weiter bestehen, muss jedoch im Hinblick auf die fachlichen, organisatorischen und technologischen Grundlagen in seinem Heilsversprechen neu kalibriert werden
1 Digitalisierung als Investitionsthema
Die aktuellen Studien zum Stand der Digitalisierung zeigen, dass sich der digitale Transformationsprozess in einer Phase zwischen anfänglichem Hype und steigender Erwartung auf messbare finanzielle Renditen befindet. Die zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags vorherrschenden Herausforderungen wie bspw. die politisch induzierten Deindustrialisierungsimpulse durch die Energiewende, historisch hohe Energiepreise, historisch hohe Inflation auch aufgrund der Europäischen Zentralbankpolitik oder noch immer vorherrschende Probleme in den Lieferketten, erzeugen gewaltigen Druck auf die Unternehmen, die eigenen Ressourcen sehr sorgsam einzusetzen. Parallel dazu wächst der Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern, und zwar nicht nur in der digitalen Champions League, d. h. Data Science und Künstlicher Intelligenz, sondern auf breiter Front und in allen Funktionsbereichen.
Bis auf die großen Plattformanbieter aus dem Silicon Valley sehen sich aktuell praktisch alle Industriezweige mit sinkenden Gesamtkapitalrenditen (ROIC) konfrontiert. Sie stellen daher immer höhere Anforderungen an die finanzielle Performance und die effektive Nutzung neuester Technologien. Noch vor ein paar Jahren experimentierten die meisten Unternehmen mit isolierten Anwendungsfällen, um ein erstes Gefühl dafür zu bekommen, wie "Digitalisierung" oder "Advanced Analytics" aussehen könnte. Bald wurden eine Vielzahl von Piloten implementiert und bei den mittelgroßen bis großen Firmen sogar Kompetenzzentren um sie herum aufgebaut. Es wurden jedem Mitarbeiter größtmögliche Freiheiten beim Experimentieren gewährt. Während sich dieser Ansatz initial noch als effektiv erwies, um die Voraussetzungen und Anforderungen dieser noch neuen Technologien zu verstehen, stellten (und stellen!) isolierte "Piloten" eine Nettoinvestition mit wenig bis keinem Einfluss auf die Gesamtleistung des Unternehmens dar.
In der CFO-Studie 2022 von Horváth stehen Maßnahmen aus dem Digitalisierungsbereich wie die Vernetzung von Datenplattformen oder die Nutzung von Predictive trotzdem noch immer ganz oben auf der Liste der Investitionsvorhaben (s. Abb. 1).
Abb. 1: Die wichtigsten Maßnahmen im CFO-Bereich
Einer der Gründe, warum Unternehmen das volle Potenzial der Digitalisierung bisher nicht ausschöpfen konnten, ist, dass die neuen Technologien und Konzepte zu isoliert und immer "zusätzlich" zu den bereits bestehenden Technologien sind. Am deutlichsten wird dies bei der Roboter-Prozessautomatisierung (RPA), bei der Teile bestehender Prozesse robotisiert werden, um menschliche Tätigkeiten zu imitieren. Je nach Prozess kann dieser Ansatz zwar Kapazitäten freisetzen und/oder Qualitätsrisiken durch den Faktor Mensch minimieren, es ist aber meist nur "on-top" zu dem, was bereits existiert und im Kern eigentlich Aufgabe effizienter Prozesse im ERP. Gleiches gilt für vereinzelte Anwendungen von Advanced Analytics, wie z. B. im Bereich der Debitorenbuchhaltung. Auch mittelgroße und kleinere Unternehmen haben schon erste algorithmische Modelle implementiert, um verspätete Zahlungen einzelner Transaktionen vorherzusagen. Schlussendlich bleibt es aber dem Controller überlassen, die generierten Erkenntnisse sinnvoll zu nutzen und zu entscheiden, für welche Zwecke diese weiterverarbeitet werden können.
2 Vision eines ganzheitlichen Ansatzes
Für lange Zeit wurde die Lösung in der vollständigen Vernetzung der einzelnen Modelle gesehen. Ziel war (und ist es im Kern immer noch) den Output eines algorithmischen Modells als Input für ein anderes algorithmisches Modell zu nutzen, dessen Output seinerseits anderen algorithmischen Modellen als Eingabewert dient. Die Vision war es, nicht einfach bestehende Prozesse mit Technologie anzureichern, sondern von Grund auf alle denkbaren algorithmischen Modelle zu vernetzen und alle organisatorischen Strukturen und Prozesse, um das Geflecht aus Algorithmen herum zu bauen. Dies würde in der finalen Ausbaus...