Leitsatz
1. Nur Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrechen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG die Verfolgungsverjährung, nicht aber Anordnungen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.
2. Durchsuchungsanordnungen müssen angesichts ihrer Grundrechtsrelevanz inhaltliche Mindestanforderungen erfüllen (unter anderem tatsächliche Angaben über den Tatvorwurf, Angabe der Art und des denkbaren Inhalts der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt). Sind diese inhaltlichen Mindestanforderungen nicht erfüllt, hat eine Durchsuchungsanordnung nicht die in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung.
3. Wenn es für die Frage, ob eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO eingetreten ist, auf die verjährungsunterbrechende Wirkung einer Durchsuchungsanordnung ankommt, hat das Finanzgericht Feststellungen zu treffen, ob darin die genannten inhaltlichen Mindestanforderungen erfüllt sind. Dies darf nicht als gegeben unterstellt werden.
4. Zwar ist im Steuerfestsetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses aufgrund der Tatbestandswirkung der Entscheidungen anderer Gerichte grundsätzlich nicht überprüfbar. Die Tatbestandswirkung tritt aber nur ein, wenn der Beschluss nicht angefochten oder ein Rechtsmittel des Betroffenen zurückgewiesen wurde. Das setzt voraus, dass überhaupt Gelegenheit zur Anfechtung des Beschlusses bestanden hat.
Normenkette
§ 171 Abs. 7, § 169 Abs. 2 Satz 2, § 378, § 384, § 404 AO, § 118 Abs. 2 FGO, § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 OWiG, § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB
Sachverhalt
Die Klägerin, auf deren Namen ein gewerbliches Einzelunternehmen unter der Bezeichnung X angemeldet war, reichte ihre ESt-Erklärung 2001 im Jahr 2002 ein. Der erklärungsgemäße erstmalige ESt-Bescheid 2001 wurde am 6.3.2003 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen und galt am 10.3.2003 (Montag) als bekannt gegeben. Am 28.1.2010 erging der im vorliegenden Verfahren angefochtene Änderungsbescheid, der auf § 164 Abs. 2 AO gestützt wurde. Darin wurde der Gewinn aus Gewerbebetrieb erheblich erhöht, weil Beträge, die die Klägerin als Betriebsausgaben erklärt hatte, nicht mehr gewinnmindernd berücksichtigt wurden. Strittig war im zweiten Rechtsgang nur noch, ob der Änderungsbescheid innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen worden ist (zum ersten Rechtsgang vgl. BFH, Urteil vom 6.5.2020, X R 26/19, BFH/NV 2020, 1238).
Am 3.5.2006 hatte eine Durchsuchung in den Geschäftsräumen der X stattgefunden, die sich zunächst nicht gegen die Klägerin, sondern gegen eine dritte Person richtete. Nachdem der Steuerfahndungsbeamte zu der Überzeugung gelangt war, dass er gegen die falsche Person ermittelte, leitete er gegen die Klägerin am selben Tag ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein, ohne jedoch die Einleitung der Klägerin förmlich bekannt zu geben. Außerdem ordnete er am selben Tag gegen die Klägerin wegen Gefahr im Verzug "als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft" die "Durchsuchung der Geschäftsräume" der X an. Ferner protokollierte er im Rahmen einer "Nachweisung" in einem Formular der Steuerfahndungsstelle, wiederum im Strafverfahren gegen die Klägerin, die Beschlagnahme und Sicherstellung von Unterlagen.
Entscheidung
Das FG hatte die Klage abgewiesen (FG Münster, Urteil vom 29.10.2021, 12 K 19/14 E,AO, Haufe-Index 13488040). Die dagegen gerichtete Revision ist begründet. Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil auch im zweiten Rechtsgang noch einmal aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Es geht also in die dritte Runde.
Hinweis
1. Im Streitfall hatte die Festsetzungsverjährung für die ESt 2001 mit Ablauf des Jahres 2002 begonnen. Sie hätte grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2007 geendet, da wegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung die fünfjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO galt.
Allerdings endet gemäß § 171 Abs. 7 AO in den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO die Festsetzungsfrist nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder – wie hier – der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. Die Verfolgungsverjährung wiederum beginnt, sobald die verfolgte Handlung beendet ist, jedoch nicht vor dem Eintritt des Erfolgs (§ 31 Abs. 3 OWiG).
Dieser Erfolg war hier mit der Bekanntgabe des fehlerhaften ESt-Bescheids 2001 am 10.3.2003 eingetreten. Da die Verfolgungsverjährungsfrist bei Steuerordnungswidrigkeiten i.S.d. § 378 AO fünf Jahre beträgt (§ 384 AO), wäre die reguläre Verfolgungsverjährung am 10.3.2008 eingetreten, sofern nicht zuvor ein Unterbrechungstatbestand verwirklicht worden wäre.
2. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG wird die Verfolgungsverjährung unter anderem durch Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrochen. Maßgebend ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung abgefasst wird (§ 33 Abs. 2 OWiG). Nach einer Unterbrechung begin...