Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
Rz. 1
Nach IFRS 18.10 umfasst ein vollständiger IFRS-Abschluss folgende Bestandteile:
- Ergebnisrechnung
- Bilanz,
- Eigenkapitalveränderungsrechnung,
- Kapitalflussrechnung,
- Anhang,
- Vergleichsinformationen für die Vorjahresperiode gem. IFRS 18.31–.32 und
- in Fällen einer Änderung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden bzw. anderen Fällen retrospektiver Abschlussänderungen oder bei Umgliederungen eine Bilanz auf den Eröffnungsbilanzstichtag der vorausgehenden Berichtsperiode gem. IFRS 18.37.
Der Anhang stellt somit einen "integralen Bestandteil" des IFRS-Abschlusses dar. IFRS 18 unterscheidet jedoch im Zusammenhang mit den oben aufgeführten Abschlussinstrumenten die primären Abschlussinstrumente (Ergebnisrechnung, Bilanz, Eigenkapitalveränderungsrechnung und Kapitalflussrechnung) vom Anhang und weist diesen beiden unterschiedenen Klassen von Abschlussinstrumenten unterschiedliche Aufgaben zu. Die primären Abschlussinstrumente die Aufgabe haben eine nützliche strukturierte Zusammenfassung der in ihnen enthaltenen Rechenelemente (d. h. z. B. bezogen auf die Ergebnisrechnung der in diesen ausgewiesenen Erträge und Aufwendungen) zu geben. Dem Anhang kommt die Aufgabe zu, die in den primären Abschlussinstrumenten ausgewiesenen Abschlussposten besser zu verstehen und die in den primären Abschlussinstrumenten enthaltenen Angaben um zusätzliche Angaben zu ergänzen, um das mit den Abschlüssen insgesamt verfolgte Ziel zu erreichen.
Im Vergleich mit dem HGB zeichnet sich die IFRS-Rechnungslegung im Allgemeinen durch wesentlich umfangreichere Angabe- und Erläuterungspflichten zur Darstellung von Abschlussinformationen und zur Berichterstattung über außerbilanzielle Sachverhalte aus (jedoch ist hierbei zu beachten, dass die in den einzelnen Standards vorgeschriebenen Anhangangaben nur dann zu erfüllen sind, wenn die sich daraus ergebende Information auch wesentlich ist.) Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass insbesondere durch die Ausweitung der handelsrechtlichen Angabevorschriften des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes und des Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes eine deutliche Annäherung des handelsrechtlichen Anhangs und seiner Pflichtangaben an den IFRS-Anhang eingetreten ist. Selbst wenn sich die handelsrechtlichen Angabevorschriften nunmehr häufig auch auf vergleichbare berichtspflichtige Tatbestände beziehen, so weisen dennoch die IFRS-Anhangvorschriften einen wesentlich größeren Detaillierungsgrad als die jeweils korrespondierenden handelsrechtlichen Normen auf. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob die wesentlich detaillierteren Anhangvorschriften der IFRS-Rechnungslegung zur Konkretisierung der eher allgemeineren und stärker prinzipienorientierten handelsrechtlichen Angabevorschriften eines bestimmten inhaltlich abgegrenzten Anhangangabebereichs herangezogen werden dürfen oder im Einzelfall auch herangezogen werden müssen. Auch wenn im Einzelfall die IFRS eine sinnvolle und – im Kontext mit den zugehörigen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften – auch eine konzeptionell gut begründbare Grundlage für die Auslegung handelsrechtlicher Rechnungslegungsnormen bilden, scheidet eine generelle Orientierung an den im Einzelfall sehr detaillierten Anhangvorschriften allein aus Gründen der Rechtssicherheit aus. Aufgrund der somit im Allgemeinen weiterhin bestehenden größeren Informationsfülle und auch Informationsdichte (im Vergleich zum HGB) kommt dem Anhang zur Erreichung des Informationsziels der IFRS-Rechnungslegung (Conceptual Framework. Kap. 1.2) der Charakter eines unverzichtbaren Pflichtbestandteils innerhalb des vollständigen IFRS-Abschlusses zu. So sind bestimmte Sachverhalte nur im Anhang nach IFRS, nicht jedoch in anderen (Bestand-)Teilen des IFRS-Abschlusses enthalten; weiterhin werden andere Sachverhalte im Anhang insbesondere zur Verdeutlichung der Unsicherheiten von Abschlussposten erläutert.
Rz. 2
Die IFRS-Vorschriften differenzieren grundsätzlich nicht zwischen Einzel- und Konzernabschluss. Dementsprechend ist – je nach Art des offengelegten Abschlusses – ein Anhang für den Einzel- bzw. für den Konzernabschluss aufzustellen. Allerdings besteht nach IAS 27.3 grundsätzlich keine Pflicht IFRS-Einzelabschlüsse aufzustellen.
Rz. 3
Aufgrund der dominierenden Informationsfunktion des IFRS-Abschlusses für die Abschlussadressaten haben Schutzklauseln, welche die Veröffentlichung von für das Unternehmen bzw. den Konzern nachteiligen Informationen vermeiden (sollen), praktisch keine wesentliche Bedeutung. Die IFRS-Rechnungslegung kennt derzeit nur eine explizite und eine implizite (jeweils spezifische) Schutzklausel:
- IAS 37.92 (explizite Schutzvorschrift): Hiernach dürfen in äußerst seltenen Fällen Angaben zu Rückstellungen, Eventualschulden und Eventualforderungen, die nach den IAS 37.84–37.89 vorgeschrieben sind, unterlassen werden, wenn damit gerechnet werden kann, dass die Angabe von Informationen die Position des Bericht erstattenden Unternehmens in einem Rechtsstreit mi...