Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
Rz. 6
Eine relevante Finanzinformation besitzt die Eigenschaft, Unterschiede in den Entscheidungen der Abschlussadressaten bewirken zu können (Conceptual Framework. Kap. 2. 6 Satz 1). Eine konkrete Verhaltens- bzw. Entscheidungsbeeinflussung wird jedoch nicht gefordert; begründet wird diese eher zurückhaltend scheinende Formulierung damit, dass sich bestimmte Reaktionen kaum auf einzelne Finanzberichtsinformationen zurückführen lassen und außerdem Abschlussadressaten eine Vielzahl von Informationen für ihre Entscheidungen heranziehen (Conceptual Framework. BC 2.13 Satz 3). Daher liegt die Eigenschaft der Relevanz auch dann vor, wenn Nutzer diese Information nicht für ihre Entscheidungen verwenden oder bereits aus anderen Quellen diese Information haben (Conceptual Framework. Kap. 2.6 Satz 2). Gem. Conceptual Framework. Kap. 2.7 kann die Relevanz sowohl in ihrem Prognosewert als auch in der Bestätigung bzw. Korrektur vergangener früherer Prognosen oder beidem liegen. Insbesondere bei den den IFRS-Abschluss ergänzenden Anhangangaben kommt diesen beiden Aspekten der Relevanz besondere Bedeutung zu.
Rz. 7
Die Wesentlichkeit ist ein wichtiges Element der Relevanz und stellt einen auf die jeweilige Berichterstattende Einheit bezogenen Aspekt der Relevanz dar; damit ist die Wesentlichkeit im Regelfall unternehmens- bzw. konzernspezifisch auszulegen. Nach der (durch die Amendments zu IAS 1 und IAS 8 vom Oktober 2018 geänderten) Definition in Conceptual Framework. Kap. 2.11 Satz 1 sind Informationen dann wesentlich, wenn deren Auslassung, fehlerhafte Darstellung oder Verschleierung die Entscheidungen der primären Nutzer auf Basis vernünftiger Erwartungen beeinflussen können. Mit dieser Ergänzung in Bezug auf die Verschleierung von Informationen soll die Aufnahme unwesentlicher Informationen, welche die wesentlichen Informationen überlagern, verdecken und damit letztlich entwerten können, in IFRS-Abschlüssen zurückgedrängt werden. Auch die Ergänzung der Definition durch die Amendments vom Oktober 2018 um den Zusatz "auf Basis vernünftiger Erwartungen" der primären Nutzer dient von der Zielsetzung her der Begrenzung der Informationsmenge auf ein vertretbares Maß, welches primäre Nutzer vernünftigerweise erwarten (können).
Rz. 7a
Die Wesentlichkeit hat als Grundsatz für die Aufstellung des Anhangs erstmals durch die infolge der Disclosure Initiative einhergehenden Änderungen des IAS 1 vom Dezember 2014 eine größere Bedeutung erlangt. Zum einen hat der Grundsatz der Wesentlichkeit seitdem explizit Auswirkung auf die Festlegung der Struktur des Anhangs, zum anderen auch auf die Auswahl der einzelnen in den IFRS/IAS aufgeführten Angabevorschriften. So durfte bereits nach IAS 1.30A Satz 2 ein Unternehmen die Verständlichkeit der Abschlussbestandteile nicht dadurch erschweren, indem es wesentliche Informationen dadurch verschleiert, dass es diese beispielsweise zusammen mit unwesentlichen Informationen aufführt.
Die Bedeutung der Wesentlichkeit für den Anhang ist durch IFRS 18, der den IAS 1 ersetzte, deutlich gestärkt worden. So braucht nach IFRS 18.19 Satz 2 die Berichterstattende Einheit keine Angaben zu einer spezifischen Ausweis- oder Angabevorschrift zu enthalten, selbst wenn diese explizit durch einen IFRS verlangt wird, wenn die daraus resultierende Information über diese spezifische Ausweis- oder Angabevorschrift nicht wesentlich ist. Dementsprechend stehen sämtliche in den IFRS/IAS enthaltenen Ausweis- und Angabevorschriften unter dem Vorbehalt der Wesentlichkeit. Allerdings ist in diesem Zusammenhang das Zusammenspiel zwischen den primären Abschlussinstrumenten und dem Anhang zu beachten. Informationen, die beispielsweise in den primären Abschlussinstrumenten zu Abschlussposten aggregiert wurden, um eine nützliche strukturierte Zusammenfassung zu gewähren, müssen immer dann im Anhang disaggregiert werden, wenn bereits die Disaggregation eine wesentliche Information beinhaltet, z. B. weil die im primären Abschlussinstrument zusammengefassten Abschlussposten nur eine oder sehr wenig gemeinsame Eigenschaften aufweisen und daher eine detaillierte Aufgliederung unter Offenlegung der in den primären Abschlussinstrumenten vorgenommenen Aggregation bereits eine wesentliche Information darstellt.
Die Beurteilung, ob eine bestimmte Ausweis- oder Angabevorschrift eine wesentliche Information beinhaltet, hat der Bilanzierende durch Ausübung sachgemäßen Ermessens zu ermitteln.
Rz. 7b
Exkurs: IFRS PS 2 "Making Materiality Judgements"
Bei dem IFRS Practice Statement (IFRS PS 2) vom September 2017 handelt es sich um eine Praxishandreichung, die den Bericht erstattenden Einheiten helfen soll Wesentlichkeitsbeurteilungen in einer effektiven und effizienten Weise durchzuführen. Im Mittelpunkt des IFRS Practice Statement 2 steht dabei insbesondere das 4-Schritte-Modell der Anwendung der Wesentlichkeit, welches insbesondere auf die Auswahl und die Bereitstellung von Anhangangaben Anwendung finden kann.
Schritt 1: "Identifi...