Leitsatz
Der Anlauf der Festsetzungsfrist gegenüber einem Haftungsschuldner wird gehemmt, wenn der Haftungsschuldner von Gesetzes wegen zur Abgabe einer Steueranmeldung oder zur Erstattung einer Anzeige verpflichtet ist und dieser Verpflichtung nicht nachkommt.
Normenkette
AO 1977 § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 , § 191 Abs. 3 Satz 1
Sachverhalt
Das FA hatte die Klägerin unstreitig außerhalb der regulären Festsetzungsfirsten wegen des Vorliegens eines gesellschaftsteuerpflichtigen Sachverhalts für KVSt als haftende in Anspruch genommen. Allerdings hatte die Klägerin diesen Sachverhalt nicht gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 KVStDV binnen zwei Wochen dem FA gemeldet. Es wurde nun darüber gestritten, ob dieser Umstand die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 auslöse.
Entscheidung
Abweichend vom FG wurde dies vom BFH bejaht. Die Meldepflicht treffe den Haftungsschuldner persönlich. Verletze er sie, dann werde auch im Haftungsverfahren der Anlauf der Festsetzungsfrist gehemmt.
Hinweis
Das Problem, das sich im Urteilsfall stellte, wird Sie in der Praxis kaum mehr behelligen. Denn es betrifft die längst abgeschaffte Gesellschaftsteuer und in diesem Zusammenhang die Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 1 KVStDV, wonach der Steuerpflichtige ebenso wie – ausnahmsweise – der Haftungsschuldner verpflichtet war, den gesellschaftsteuerpflichtigen Vorgang dem FA zu melden.
Solche Melde- und Erklärungspflichten führen bekanntlich zu der dreijährigen Anlaufhemmung der Festsetzungsfristen gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977, die – wie der BFH grundlegend ausführt – auch für das Haftungsverfahren entsprechend bedeutsam sind.
Aber: Außerhalb des Gesellschaftsteuerrechts werden Sie wohl vergeblich einen vergleichbaren Fall suchen, in dem der Haftungsschuldner gleichermaßen erklärungs- oder meldeverpflichtet ist. Insofern muss er sich auch keine im Anlauf gehemmten Fristen entgegenhalten lassen. Das gilt indes nur dann, wenn er in seiner Funktion als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird! Sie dürfen nicht übersehen, dass die Situation eine grundsätzlich andere ist, wenn das FA ihm gegenüber einen Steuernachforderungsbescheid erlässt. Ein solcher richtet sich an ihn nicht als Haftungs-, sondern als Entrichtungssteuerschuldner, der die fragliche Steuer aus eigener Verpflichtung einzubehalten, anzumelden und abzuführen hat. Und diese Anmeldepflicht wiederum löst ihrerseits die besagte Anlaufhemmung aus. Von dem Sondersachverhalt der KVSt abgesehen, steht der Vergütungsschuldner sich also besser, wenn er "nur" haftet. Dann unterfällt er im Regelfall keiner Anlaufhemmung.
Das alles steht aber, wie Sie beachten müssen, unter dem wesentlichen Vorbehalt, dass die Dinge innerhalb des BFH genau so gesehen werden. Bislang existiert hierzu aber eine"versteckte" Divergenz: Während der II. Senat es nicht genügen lässt, hinsichtlich der Anlaufhemmung beim Haftungsschuldner auf die Erklärungspflicht des eigentlichen Steuerschuldners abzustellen (Urt. vom 16.2.1994, II R 125/90, BStBl II 1994, 866), war der I. Senat insoweit in der Vergangenheit anderer Ansicht (Urt. v. 17.4.1996, I R 82/95, BStBl II 1996, 608). Die Finanzverwaltung wendet letzteres Urteil aber zu Recht nicht an (BMF-Schreiben vom 24.4.1997, BStBl I 1997, 414), erscheint es doch unbillig, die Anlaufhemmung an Umstände anzuknüpfen, auf die der Vergütungsschuldner überhaupt keinen Einfluss hat und haben kann.
Siehe im Übrigen zum Problemkreis der Entrichtungssteuerschuld die Urteile vom 23.8.2000, I R 107/98 in diesem Heft und vom 13.9.2000, I R 61/99 demnächst in Heft 3/2001.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.8.2000, I R 95/99