Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
Bei einer Besteuerung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) kommt einer Anzeige nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GrEStG oder nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG jedenfalls dann keine die Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung) beendende Wirkung für die Feststellungs- und für die Festsetzungsfrist der zu erlassenden Bescheide zu, wenn die nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erforderlichen Angaben in Bezug auf ein Grundstück vollständig fehlen.
Normenkette
§ 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 20 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GrEStG, § 163, § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 171 Abs. 10, § 227 AO
Sachverhalt
Der Kläger war ein Kirchenkreis in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er war i.H.v. 50 % an einer grundbesitzenden gemeinnützigen GmbH (gGmbH) beteiligt. Mitgesellschafter der gGmbH war i.H.v. 50 % ein eingetragener Verein. Dieser übertrug nach seiner Auflösung mit notariell beurkundetem Vertrag vom 13.3.2013 seinen 50 %-Anteil an der gGmbH auf den Kläger. Die Grundstücke der gGmbH lagen in verschiedenen Finanzamtsbezirken. Der Erwerbsvorgang wurde dem FA am 26.3.2013 durch den Notar und am 27.3.2013 durch den Kläger angezeigt, wobei bei beiden Anzeigen in der Grundstücksliste nicht alle von der Anteilsvereinigung betroffenen Grundstücke angezeigt worden waren.
Das FA erkannte nach Erlass des Bescheids über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die GrESt nach § 17 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 3a GrEStG, dass in der ursprünglich durch den Kläger übersandten Grundstücksliste zwei Grundstücke nicht erfasst worden waren. Nachdem der Kläger im Jahr 2014 eine ergänzte Grundstücksliste übermittelt hatte, erließ das FA am 7.10.2014 einen geänderten Feststellungsbescheid, der auch diese Grundstücke erfasste. Die in dem Bescheid vorgesehenen Spalten für die Angaben zur Steuerbefreiung des Erwerbsvorgangs waren durchgestrichen. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Für den in seinem Bezirk belegenen Grundbesitz erließ das FA am 19.12.2017 Bescheide über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts für Zwecke der GrESt auf den 13.3.2013 (Wertfeststellungsbescheide), die ebenfalls bestandskräftig wurden.
Mit Bescheid vom 23.1.2018 setzte das FA GrESt fest. Der hiergegen erhobene Einspruch wurde zurückgewiesen. Die vor dem FG erhobene Klage, mit der der Kläger zum einen die Rechtswidrigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids geltend machte und zum anderen seinen durch das FA abgelehnten Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§§ 163, 227 AO) weiterverfolgte, hatte keinen Erfolg (FG Münster, Urteil vom 18.3.2021, 8 K 3173/18 GrE, Haufe-Index 14441111, EFG 2021, 813).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer gelten die allgemeinen Verfahrensvorschriften der AO. Danach beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) und beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon bestimmt § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO unter anderem für Fälle, in denen eine Anzeige zu erstatten ist, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten auf die Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll verhindern, dass die Festsetzungsfrist schon beginnt, bevor die Finanzbehörde etwas vom Entstehen des Steueranspruchs erfahren hat.
2. Eine Anzeigepflicht, die zur Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO führt, gibt es auch für die Grunderwerbsteuer. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GrEStG müssen die beurkundenden Notare, nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 GrEStG müssen Steuerschuldner über die Rechtsvorgänge nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG dem FA Anzeige erstatten. Die Anzeigen sind innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von dem anzeigepflichtigen Vorgang vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn der Vorgang von der Besteuerung ausgenommen ist (§§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 3 GrEStG).
3. Die Anzeige ist an das für die Besteuerung und in den Fällen des § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG an das für die gesonderte Feststellung zuständige FA zu richten (§§ 18 Abs. 5, 19 Abs. 4 Satz 1 GrEStG). Sie muss direkt an die zuständige Grunderwerbsteuerstelle des FA adressiert sein. Eine Zusendung an das FA ohne Bezeichnung der zuständigen Stelle stellt nach der strengen Rechtsprechung des BFH keine wirksame Anzeige nach § 18 bzw. § 19 GrEStG dar und kann daher den Beginn der Festsetzungsfrist nicht auslösen.
4. Weitere Voraussetzung für eine die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beendende Anzeige ist, dass alle von dem Rechtsvorgang der Anteilsvereinigung betroffenen Grundstücke der Gesellschaft vollständig benannt werden. Der notwendige Inhalt der Anzeige ergibt sich aus § 20 GrEStG. Unter anderem verlangen ...