Leitsatz
1. Der in § 17 Abs. 2 EStG verwendete Begriff der "Anschaffungskosten" ist i.S. des § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 HGB auszulegen. Danach sind Anschaffungskosten u.a. Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und in den betriebsbereiten Zustand zu versetzen.
2. Abweichend von diesem grundsätzlich im Bereich des § 17 EStG geltenden Begriffsverständnis sind die Anschaffungskosten von Anteilen an einer Agrargenossenschaft, die durch Umwandlung einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft i.S. des Rechts der DDR entstanden ist und die eine Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark entsprechend den Verpflichtungen des DMBilG aufgestellt hat, nach Maßgabe der Regelungen dieses Gesetzes zu bestimmen, wenn das Genossenschaftsmitglied den maßgeblichen Anteil im Zuge der Gründung der Genossenschaft erworben hat.
Normenkette
§ 17 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 7 EStG 2009, § 162 AO, § 65, § 73, § 76 GenG, § 255 Abs. 1 HGB, § 1, § 7 Abs. 1 Satz 4, § 11, § 17 Abs. 4, § 52 Abs. 2 Satz 1 DMBilG
Sachverhalt
Der Kläger erwarb im Zuge der Umwandlung (s)einer ehemaligen LPG in eine Genossenschaft mehrere Anteile zu jeweils 5.000 DM. Die Einlageverpflichtung wurde verrechnet mit dem anteilig dem Kläger zugerechneten (Zerschlagungs-)Wert der LPG. Später erwarb er noch 5 weitere Anteile für jeweils 2.300 EUR. Im Streitjahr kündigte und übertrug der Kläger 3 Altanteile. Im Gegenzug erhielt er von der Genossenschaft 7.800 EUR ausgezahlt. Der Kläger ermittelte einen Veräußerungsverlust von ./. 170.228 EUR, den das FA unberücksichtigt ließ. Die Klage vor dem FG (Thüringer FG, Urteil vom 22.11.2017, 4 K 791/16, Haufe-Index 12126300, EFG 2018, 2028) hatte teilweise Erfolg. Das FG berücksichtigte jedoch nach griffweiser Schätzung nur 63 % der geltend gemachten fiktiven Anschaffungskosten.
Entscheidung
Auf die Revision des Klägers hat der BFH das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Dieses muss nun noch die Höhe der fiktiven Anschaffungskosten (Inhalt der maßgeblichen, aber nicht vorhandenen DM-Eröffnungsbilanz der Genossenschaft) aufklären und ggf. indiziell feststellen. Die Revision des FA hat der BFH zurückgewiesen.
Hinweis
Der Besprechungsfall bringt erstaunliche Spätfolgen der deutschen Vereinigung ans Licht. Wer Genossenschaftsanteile, die durch Umwandlung aus einer ehemaligen LPG entstanden sind, kündigt und zurückgibt, kann u.U. hohe Verluste geltend machen.
1. Genossenschaftsanteile gelten für die Anwendung von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG als Anteile i.S.d. Vorschrift. Der dies klarstellende § 17 Abs. 7 EStG ist zwar erst im Jahr 2006 eingefügt worden. Den Einwand des FA, frühere Vorgänge unterfielen der Vorschrift deshalb nicht, hat der BFH verworfen, ohne in der Begründung darauf einzugehen. Abs. 7 hat nach dem Verständnis des BFH lediglich klarstellende Funktion.
2. Veräußerung: Üblicherweise kann ein Genosse über seinen Anteil nicht frei verfügen. Nach dem gesetzlichen Regelstatut verbleibt ihm nur, seine Mitgliedschaft in der Genossenschaft zu kündigen und den Anteil an die Genossenschaft zurückzugeben. An den stillen Reserven der Genossenschaft ist er nicht beteiligt und erhält wohl i.d.R. auch keine Abfindung, sondern seine Einlage (unverzinst) zurück. Kann man insofern von einer Veräußerung sprechen?
a) Im Fall der Rückgabe eines Anteilsscheins gemäß § 11 Abs. 2 KAGG hat der BFH eine Veräußerung verneint. Es finde kein Rechtsträgerwechsel statt; außerdem werde nur der Rückkaufswert und nicht der Kurswert des Papiers realisiert (vgl. BFH, Urteil vom 10.11.2015, IX R 3/15, BFH/NV 2016, 641, BStBl II 2016, 351 zu § 23 EStG).
b) Bei Kündigung eines Genossenschaftsanteils sieht der BFH dies anders. Es handele sich – wie bei der Einziehung von Aktien oder GmbH-Anteilen – um eine Auseinandersetzung mit dem ausgeschiedenen Mitglied unter Zugrundlegung der Bilanz (vgl. § 73 Abs. 2 Satz 1 GenG), weshalb unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG der Veräußerungstatbestand erfüllt sei.
3. Mehrere Anteile: Hält ein Genosse mehr als einen Anteil an einer Genossenschaft, kann er in den Grenzen des § 67b GenG durch Erklärung gegenüber der Genossenschaft bestimmen, welchen Anteil er kündigen und zurückgeben will. Die Bestimmung ist wie die Kündigung des Anteils formfrei.
4. Veräußerungsgewinn: Der Veräußerungserlös entspricht in der Regel der zurückgezahlten Einlage. Anschaffungskosten sind die tatsächlich geleisteten Aufwendungen für dessen Erwerb, also regelmäßig die nach Gesetz und Satzung geschuldeten Einzahlungen auf den Geschäftsanteil. Danach entsteht normalerweise bei der Kündigung und Rückgabe eines Genossenschaftsanteils kein Gewinn oder Verlust. Anderes gilt aber für in Genossenschaften umgewandelte ehemalige LPGs:
a) Einlage: Tatsächlich wurden i.d.R. keine Einzahlungen erbracht, sondern es wurde der personalisierte Zerschlagungswert der LPG (das fiktive Auseinandersetzungsguthaben) mit der Einlageverpflichtung verrechnet. Auf diese Weise erwar...