Die Kündigung des Geschäftsguthabens an einer Genossenschaft
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten 5 Jahre am Kapital der Gesellschaft qualifiziert – d. h. unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % – beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen gehalten hat. Als Anteile i. S. d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gelten nach Abs. 7 der Vorschrift auch Anteile an einer Genossenschaft einschließlich der Europäischen Genossenschaft.
Veräußerungsgewinn i. S. v. § 17 Abs. 1 EStG ist gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt.
Sachverhalt: Streit um Höhe der Anschaffungskosten der Anteile
Die Klägerin war in der Zeit des Bestehens der DDR an einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) beteiligt. Im Jahr 1991 beschloss deren Mitgliedervollversammlung die formwechselnde Umwandlung der LPG in eine Agrargenossenschaft (e. G.). Die Klägerin erklärte neben 12 weiteren LPG-Mitgliedern ihren Beitritt zur e. G. Die 13 Gründungsmitglieder zeichneten jeweils einen (Pflicht‑)Geschäftsanteil im Nennwert von 1.000 DM.
Im Zuge einer im Jahr 2001 beschlossenen Gewinnausschüttung an die Genossenschaftsmitglieder behielt die e. G. von dem auf die Klägerin entfallenden Gewinnanteil einen Teilbetrag in Höhe von 2.911,66 DM (= 1.488,70 EUR) ein. Gleichzeitig wurde der Genossenschaftsanteil der Klägerin von 1.000 DM auf 2.000 EUR aufgestockt.
Im Jahr 2008 beschloss die Mitgliederversammlung der e. G., der Klägerin aus der – nach Ablösung der Altschulden durch Rangrücktritt frei gewordenen – betrieblichen Rücklage zusätzlich zu ihrem Pflichtanteil 9 weitere Genossenschaftsanteile zu je 2.000 EUR zuzuordnen, sodass sie insgesamt 10 Anteile zu je 2.000 EUR hielt.
Zum 31.12.2013 kündigte die Klägerin einen ihrer Genossenschaftsanteile und erhielt hierfür von der e. G. einen Betrag von 2.000 EUR ausgezahlt. In der Folge kündigte sie zum 31.12.2015 und zum 31.12.2016 jeweils 4 weitere Genossenschaftsanteile und erhielt hierfür von der e. G. ebenfalls Zahlungen i. H. v. 2.000 EUR je Anteil. Den Pflichtanteil behielt sie.
Die Klägerin machte in ihren Einkommensteuererklärungen für die Kalenderjahre 2013, 2015 und 2016 Veräußerungsverluste i. S. d. § 17 Abs. 1 Satz 1 i. v. m. Abs. 7 EStG geltend. Sie trug in diesem Zusammenhang vor, die Anschaffungskosten für den Pflichtanteil hätten 392.294,12 EUR betragen. Diese Anschaffungskosten seien nach § 3 KapErhStG auf sämtliche von ihr gehaltenen Anteile aufzuteilen, sodass die Anschaffungskosten für jeden der 10 Anteile rechnerisch (392.294,12 EUR : 10 =) 39.229,41 EUR betrügen. Der Verlust aus der Veräußerung der gekündigten Anteile betrage pro Anteil (39.229,41 EUR abzgl. 2.000 EUR), wovon 60 % (= 22.337,65 EUR) als steuerpflichtig zu berücksichtigen seien.
Das FA setzte für die veräußerten Anteile jeweils Veräußerungsgewinne mit der Begründung an, dass die Klägerin insoweit keine Anschaffungskosten gehabt habe. Eine Verteilung der auf den Pflichtanteil entfallenden Anschaffungskosten auf die veräußerten weiteren Geschäftsanteile gemäß § 3 KapErhStG sei nicht möglich.
Die gegen die Entscheidungen des FA erhobene Klage hat das FG abgewiesen
Entscheidung: BFH weist Revision der Klägerin ebenfalls zurück
Der BFH hat entschieden, dass das FG in der Kündigung der Genossenschaftsanteile einen Veräußerungstatbestand im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG in den jeweiligen Streitjahren erkannt und den Veräußerungsgewinn hieraus rechtsfehlerfrei ermittelt hat.
Nach der Senatsrechtsprechung seien sowohl die Übertragung des Geschäftsguthabens an einer Genossenschaft nach § 76 GenG als auch die Kündigung der Mitgliedschaft nach § 65 GenG – unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG – als Veräußerungstatbestände i. S. d. § 17 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 7 EStG zu werten. Nach diesen der Entscheidung des FG zugrunde liegenden Maßstäben habe die Klägerin aufgrund der Kündigung von einem Genossenschaftsanteil im Jahr 2013 sowie von je 4 Genossenschaftsanteilen in den Jahren 2015 und 2016 jeweils dem Grunde nach Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 17 EStG erzielt.
Zutreffende Ermittlung des Veräußerungsgewinns durch das FG
Bis zur Einführung von § 17 Abs. 2a EStG sei der in § 17 Abs. 2 EStG verwendete Begriff der „Anschaffungskosten“ von der höchstrichterlichen Rechtsprechung i. S. d. § 6 EStG und des § 255 Abs. 1 HGB ausgelegt worden. Danach seien Anschaffungskosten u. a. Aufwendungen, die „tatsächlich“ geleistet würden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dach habe das FG im Ergebnis zutreffend keine originär auf die streitgegenständlichen Genossenschaftsanteile entfallenden Anschaffungskosten angenommen. Aufgrund der für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG seien der Klägerin für die streitgegenständlichen, erst nach Umwandlung der LPG in die e. G. erworbenen Genossenschaftsanteile tatsächlich keine Anschaffungskosten entstanden.
Die Anschaffungskosten für den Pflichtanteil würden nicht anteilig auf die nachträglich erworbenen und wieder veräußerten Anteile aufgeteilt. Nach § 3 KapErhStG würden zwar als Anschaffungskosten der vor der Erhöhung des Nennkapitals erworbenen Anteilsrechte und der auf sie entfallenen neuen Anteilsrechte die Beträge gelten, die sich für die einzelnen Anteilsrechte ergäben, wenn die Anschaffungskosten der vor der Erhöhung des Nennkapitals erworbenen Anteilsrechte auf diese und auf die auf sie entfallenen neuen Anteilsrechte nach dem Verhältnis der Anteile am Nennkapital verteilt würden. § 3 KapErhStG sei jedoch auf Anteile an Genossenschaften nicht anwendbar. Zwar enthalte der Wortlaut der Vorschrift unmittelbar keine Bestimmung ihres Anwendungsbereichs. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 1 KapErhStG auf Kapitalgesellschaften i. S. v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG schlage jedoch auf § 3 KapErhStG durch.
Hinweis: Keine Verletzung geschützten Vertrauens durch Besteuerung des Veräußerungsgewinns
Die Einbeziehung von Genossenschaftsanteilen in den Anwendungsbereich von § 17 EStG durch die Einführung von § 17 Abs. 7 EStG entfalte keine echte Rückwirkung. Die Vorschrift sei im Hinblick auf das Entstehen der Steuerschuld erstmalig für den bei Verkündung noch laufenden Veranlagungszeitraum anzuwenden.
Soweit nach der Rechtsprechung des BVerfG jedoch ein Vertrauensschutz wegen unechter Rückwirkung in Betracht komme, da mit der Einführung von § 17 Abs. 7 EStG erstmals Wertsteigerungen von Genossenschaftsanteilen steuererheblich würden, könne der Senat offenlassen, inwiefern die Einbeziehung von Genossenschaften durch die Einfügung von § 17 Abs. 7 EStG in § 17 EStG gerechtfertigt sei. Jedenfalls seien vorliegend keine von einem Vertrauensschutz umfassten Wertzuwächse eingetreten. Die Klägerin habe die streitgegenständlichen Genossenschaftsanteile erst aufgrund des Beschlusses der Mitgliederversammlung der e. G. aus dem Jahr, mithin nach Inkrafttreten von § 17 Abs. 7 EStG zum 13.12.2006, erworben.
BFH, Urteil v. 26.9.2023, IX R 19/21; veröffentlicht am 7.12.2023
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