Leitsatz
1. Wird dem Arbeitnehmer ein Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen, so ist ein Zuschlag nach § 8 Abs. 2 S. 3 EStG (0,03 %-Regelung) nur vorzunehmen, wenn der Arbeitnehmer den Dienstwagen tatsächlich für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzt. Für eine solche Nutzung besteht ein Anscheinsbeweis, der durch die Vorlage einer auf den Arbeitnehmer ausgestellten Jahres-Bahnfahrkarte entkräftet werden kann.
2. Mit der Entkräftung des Anscheinsbeweises ist der Sachverhalt zur Ermittlung des Zuschlags im Hinblick auf Art und Umfang der Nutzung des Dienstwagens umfassend aufzuklären (Anschluss an Senatsurteile vom 04.04.2008, VI R 85/04, BFH/NV 2008, 1237, BFH/PR 2008, 377 und VI R 68/05, BFH/NV 2008, 1240, BFH/PR 2008, 376).
Normenkette
§ 8 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 und 3, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers befand sich in den Streitjahren (2001 bis 2003) bei der W-AG in B. Ihm wurde ab Juni 2001 ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt. Der aus der Überlassung folgende geldwerte Vorteil für die private Nutzung des Dienstwagens wurde nach der 1 %-Regelung des § 8 Abs. 2 S. 2 EStG erfasst. Auf den Ansatz des Zuschlags nach S. 3 für Fahrten mit dem Dienstwagen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wurde sowohl von der W-AG beim LSt-Abzug als auch vom Kläger in den ESt-Erklärungen mit der Begründung verzichtet, dass der Kläger für derartige Fahrten ausschließlich öffentliche Verkehrsmittel genutzt habe.
Im Anschluss an eine LSt-Außenprüfung bei der W-AG änderte das FA die ESt-Bescheide für die Streitjahre gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und erhöhte den Bruttoarbeitslohn um den Zuschlag nach § 8 Abs. 2 S. 3 EStG i.H.v. 11 600 DM (2001) und je 11 800 Euro (2002 und 2003). Die Änderung begründete das FA damit, dass ein steuerlich anzuerkennendes Nutzungsverbot hinsichtlich der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von der W-AG weder ausgesprochen noch in geeigneter Weise überwacht worden sei.
Das FG wies die Klage ab (Hessisches FG, Urteil vom 26.03.2007, 11 K 1844/05, Haufe-Index 1774291, EFG 2007, 1327).
Entscheidung
Die erfolgreiche Revision des Klägers führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache. Bei der Ermittlung des Zuschlags nach § 8 Abs. 2 S. 3 EStG komme es darauf an, ob und in welchem Umfang der Kläger den Dienstwagen tatsächlich für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt habe.
Hinweis
1. Wird einem Arbeitnehmer unentgeltlich ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, ist der private Nutzungsvorteil – sofern kein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch geführt wird – mit 1 % des Listenpreises als geldwerter Vorteil zu versteuern (§ 8 Abs. 2 S. 2 EStG). Dieser Betrag erhöht sich um monatlich 0,03 % des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, wenn das Fahrzeug auch hierfür genutzt werden kann (S. 3, sog. Zuschlagsregelung).
2. Der VI. Senat hatte bereits in seinen Urteilen jeweils vom 04.04.2008, VI R 68/05, BFH/NV 2008, 1240, BFH/PR 2008, 376 (Park-and-ride-Fall) und VI R 85/04, BFH/NV 2008, 1237, BFH/PR 2008, 377 (nur einmal wöchentliches Aufsuchen des Betriebssitzes) ausführlich dargelegt, dass die Zuschlagsregelung im systematischen Zusammenhang mit § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 und insbesondere § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG a.F. (Entfernungspauschale) zu sehen ist. Die Sonderregelung des Satzes 3 EStG erklärt sich nur daraus, dass ein Arbeitnehmer die Entfernungspauschale auch dann ansetzen kann, wenn er den Dienstwagen auch für die Wege von der Wohnung zur Arbeitsstätte nutzt. Sinn der Zuschlagsregelung ist es, diesen steuerlichen Vorteil auszugleichen (Korrekturfunktion des Zuschlags).
Zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung hat der BFH in Fällen, in denen offenkundig keine oder nur eine geringe Nutzung des Dienstwagens von der Wohnung zur Arbeitsstätte erfolgt, eine einschränkende Auslegung des Wortlauts der Zuschlagsregelung ("kann") vorgenommen und deshalb auf die tatsächliche Nutzung abgestellt.
3. Die Finanzverwaltung sieht dies anders. Sie stellt wohl auch für den vorliegenden Fall allein auf die objektive Nutzungsmöglichkeit ab (BMF-Schreiben vom 23.10.2008, BStBl I 2008, 961). Bereits die Verfügbarkeit des Wagens für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte führe zum geldwerten Vorteil. Die Verwaltung will allerdings in den sog. Park-and-ride-Fällen (lediglich) aus Billigkeitsgründen den pauschalen Nutzungswert auf der Grundlage der Entfernung, die mit dem Fahrzeug tatsächlich zurückgelegt worden ist, anerkennen, wenn für die restliche Teilstrecke z.B. eine auf den Arbeitnehmer ausgestellte Jahres-Bahnfahrkarte vorgelegt wird.
4. Ungeachtet des Umstands, dass bei Erlass der Besprechungsentscheidung das o.a. BMF-Schreiben noch nicht vorlag, bleibt der BFH bei seiner Auffassung. Das FA kann sich zunächst auf den Anscheinsbeweis berufen (Leitsatz 1). Wird der Anscheinsbeweis seitens des Arbeitnehmers etwa durch Vorlage einer Jahres-Bahnfahrkarte entkräftet, ist der Sachver...