OFD Niedersachsen, Verfügung v. 20.9.2013, S 2244 - 136 - St 244
Beteiligungsbegriff i.S. des § 17 Abs. 1 EStG und Verfassungsmäßigkeit der Beteiligungsgrenze von mindestens 1 %
Mit Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 – StEntlG – vom 24.3.1999 (BGBl 1999 I S. 402) wurde die Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % auf mindestens 10 % abgesenkt. Durch Steuersenkungsgesetz – StSenkG – vom 23.10.2000 (BGBl 2000 I S. 1433) ist die Beteiligungsgrenze von mindestens 10 % auf mindestens 1 % herabgesetzt worden.
Veranlagungszeitpunktbezogener Beteiligungsbegriff
Nach der bisherigen Verwaltungsauffassung wurde der Beteiligungsbegriff i.S. des § 17 Abs. 1 EStG für alle vorgenannten Beteiligungsgrenzen einheitlich veranlagungszeitpunkt-/stichtagsbezogen ausgelegt.
Beispiel:
A hielt 10 % der Anteile an der X-GmbH im Privatvermögen, die er im Jahr 1991 zu einem Kaufpreis von 1.000,00 DM erworben hatte. Am 29.12.1998 veräußerte A 1 % seiner Anteile für 150,00 DM an den Anteilseigner Z. Mit Vertrag vom 28.6.1999 veräußerte A die restlichen 9 % der Anteile zu einem Kaufpreis von 2.900,00 DM an einen Dritten. Weitere (Anschaffungs-)Kosten sind nicht angefallen.
Lösung :
A hat im VZ 1999 den Veräußerungstatbestand des § 17 EStG in der Fassung des StEntlG verwirklicht; A war innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung am Kapital der X-GmbH mit mindestens 10 % beteiligt. Ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 2.000,00 DM ist im VZ 1999 steuerlich zu erfassen.
Diese Betrachtungsweise des Beteiligungsbegriffs entsprach der Rechtsprechung des BFH in seinem Urteil vom 1.3.2005 (BStBl 2005 II S. 436). Demnach ist das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beteiligung „innerhalb der letzten fünf Jahre” i.S. des § 17 Abs. 1 EStG i.d. Fassung des StEntlG nicht für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der jeweils geltenden Beteiligungsgrenze i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. zu bestimmen, sondern richtet sich nach der im Jahr der Veräußerung geltenden Wesentlichkeitsgrenze.
Das vorgenannten BFH-Urteil vom 1.3.2005 (a.a.O.) ist mit BVerfG-Beschluss vom 7.7.2010 (Az.: 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05; BStBl 2011 II S. 86) gem. § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben worden. Demnach dürfen Wertzuwächse, die bis zum Tag der Verkündung des StEntlG am 31.3.1999 entstanden sind, nicht in die Veräußerungsgewinnermittlung i.S. des § 17 Abs. 2 EStG mit einbezogen werden. Zur Umsetzung des BVerfG-Beschlusses (a.a.O.) hat das BMF mit Schreiben vom 20.12.2010 (BStBl 2011 I S. 16) Stellung genommen.
Beispiel:
Grundfall siehe Seite 1. Zum 31.3.1999 betrug der durch Ableitung aus anderen Verkäufen ermittelte Wert der GmbH-Anteile bereits 2.400,00 DM.
Lösung:
Die historischen Anschaffungskosten der Anteile betrugen 900,00 EUR; die bis zum 31.3.1999 eingetretene Wertsteigerung der Anteile in Höhe von 1.500,00 EUR (2.400,00 EUR ./. 900,00 EUR) dürfen steuerlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit gilt verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz.
Veräußerungserlös |
2.900,00 EUR |
|
Wert der Anteile zum 31.3.1999 |
2.400,00 EUR |
|
= steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn |
500,00 EUR |
|
Veranlagungszeitraumbezogener Beteiligungsbegriff für die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % auf mindestens 10 %
In Abweichung zur bisherigen Verwaltungsauffassung hatte der BFH bereits in mehreren Urteilen für Zwecke der Anwendung der Vorschrift des § 17 EStG in Fällen der durch unentgeltliche Rechtsnachfolge – unentgeltlich im Wege der (vorweggenommenen) Erbfolge erlangte werthaltige Anteile – erworbene und im Privatvermögen gehaltene Anteile an einer Kapitalgesellschaft den veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff angewandt (vom BFH-Urteile 29.5.2008, BStBl 2008 II S. 856 und vom 24.1.2012, BStBl 2013 II S. 363).
Nunmehr hat der BFH in seinen im Wesentlichen inhaltsgleichen Urteilen vom 11.12.2012 (BStBl 2013 II S. 372 und BFH/NV 2013 S. 539 – 540) entschieden, dass der Beteiligungsbegriff gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d. Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 veranlagungszeitraumbezogen auszulegen ist, indem das Tatbestandsmerkmal „innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt” in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der in diesem Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen ist. Ohne die Entscheidung des BFH im noch anhängigen Revisionsverfahren zum Az. IX R 47/12 abzuwarten, schließt sich das BMF mit seinem Schreiben vom 27.5.2013 (BStBl 2013 I S. 721) dieser Rechtsauffassung an. Der veranlagungszeitraumbezogene Beteiligungsbegriff entspricht damit in Fällen der Absenkung der Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % („wesentliche Beteiligung”) auf mindestens 10 % („wesentliche Beteiligung”) durch StSenkG der Verwaltungsauffassung.
Beispiel:
Grundfall siehe Seite 1
Lösung:
Im VZ 1999 liegt keine „wesentliche” Beteiligung vor, weil diese mit 9 % unter der gesetzlich normierten Beteiligungsgrenze in Höhe von mindestens 10 % liegt. Der Veräußerungstatbestand des § 17...