Leitsatz

Die Aufhebung eines Termins zur mündlichen Verhandlung wegen kurzfristigen Ausfalls eines geplanten Flugs ist jedenfalls dann nicht geboten, wenn der Prozessbevollmächtigte weder darlegt noch glaubhaft macht, dass er kein alternatives Verkehrsmittel nutzen konnte, und es ihm zudem möglich gewesen wäre, an der mündlichen Verhandlung durch Video-Zuschaltung teilzunehmen.

 

Normenkette

§ 91a, § 155 FGO, § 227 ZPO, 10 Abs. 5 Nrn. 1 und 3 ErbStG, § 2318, § 2185 BGB

 

Sachverhalt

In der Sache ging es in diesem Verfahren darum, ob die Klägerin als Vermächtnisnehmerin Zahlungen an die Erbin als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 ErbStG abziehen kann. Die Erblasserin vermachte der Klägerin eine Eigentumswohnung. Nach dem Tod der Erblasserin erfolgte keine Übereignung der Wohnung an die Klägerin. Die Erbin verkaufte mit dem Einverständnis der Klägerin die Wohnung und kehrte den Verkaufserlös an die Klägerin aus. Im Gegenzug vereinbarte die Klägerin mit der Erbin, dass sie sich im Falle der Erschöpfung des Nachlasses an Pflichtteils‐, Verfahrens- und sonstigen Nachlassverbindlichkeiten beteiligen würde. Das FA lehnte die diesbezüglich von der Klägerin als Nachlassverbindlichkeit geltend gemachten Kosten zum überwiegenden Teil ab. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 20.1.2021, 4 K 1586/19, Haufe-Index 14392371).

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem BFH war die Klägerin nicht vertreten. Ihr Prozessvertreter hatte am Vorabend beantragt, den auf 09:30 Uhr des nächsten Tages anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem BFH aufzuheben. Der an diesem Tag für 06:30 Uhr vorgesehene Flug von Düsseldorf nach München sei am Vorabend annulliert worden. Der Prozessbevollmächtigte machte geltend, es sei ihm nicht möglich gewesen, einen anderen Flug zu buchen, mit dem er rechtzeitig nach München hätte reisen können, um an der mündlichen Verhandlung vor dem BFH teilzunehmen. Ein diesbezüglicher Nachweis erfolgte nicht.

Der Prozessbevollmächtigte wurde auf die Möglichkeit der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Video-Zuschaltung hingewiesen. Er lehnte dies ab, weil der beteiligte Steuerberater nach seinen Angaben nicht hätte zugeschaltet werden können.

 

Entscheidung

Der BFH hat die mündliche Verhandlung trotz des Ausbleibens des Prozessbevollmächtigten durchgeführt und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Der BFH konnte trotz des Ausbleibens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin mündlich verhandeln (§ 91 Abs. 2 FGO). Der Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung war abzulehnen, da kein erheblicher Grund für eine Vertagung nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vorlag.

2. Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe i.S.v. § 227 Abs. 1 ZPO vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit des Gerichts zu einer Rechtspflicht. In diesem Fall muss der Termin zur mündlichen Verhandlung zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert wird. Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Wird ein Antrag auf Terminverlegung "in letzter Minute" gestellt, muss der Beteiligte von sich aus den Verlegungsgrund glaubhaft machen.

3. Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für eine Terminverlegung aus erheblichem Grund nicht vor. Dabei hat es der BFH offengelassen, ob der kurzfristige Ausfall einer Flugverbindung überhaupt einen erheblichen Grund i.S.d. § 227 Abs. 1 ZPO darstellt, wenn der Prozessbevollmächtigte seine Anreise zu einem Termin zur mündlichen Verhandlung so kurzfristig plant, dass er nicht mehr auf ein alternatives Verkehrsmittel ausweichen und den Termin – gegebenenfalls mit einer Verspätung – wahrnehmen kann.

4. Zwar hat das BVerwG in einem älteren Urteil entschieden, dass sich ein Prozessbevollmächtigter bei der Planung seiner Anreise zu einer auswärtigen mündlichen Verhandlung grundsätzlich auf die Einhaltung der planmäßigen Beförderungszeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln verlassen darf (BVerwG, Urteil vom 10.12.1985, 9 C 84/84). Der BFH hat in der Entscheidung jedoch Zweifel daran geäußert, ob diese Entscheidung auf die heutige Zeit, in der Zug- und Flugausfälle zum Regelfall geworden sind, übertragen werden kann. Das gilt jedenfalls bei einer Anreiseplanung, die von vornherein so kurzfristig ausgestaltet ist, dass eine rechtzeitige Anreise nur unter optimalen Umständen und nur unter Ausschluss jeglicher Verzögerung möglich ist.

5. Der BFH hat aufgrund der vorliegenden Möglichkeit, an der mündlichen Verhandlung per Video-Zuschaltung teilzunehmen, die Frage, wie kurzfristig die Reiseplanung für die Teilnahme an...

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