Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Gelten zum Zeitpunkt der Vereinnahmung einer Anzahlung andere Voraussetzungen für die Festlegung der Steuerschuldnerschaft als dies bei der späteren Ausführung der Leistung der Fall ist, muss nach der jetzt von der Finanzverwaltung vertretenen Rechtsauffassung die Besteuerung der Anzahlung nicht angepasst werden.
Die rechtliche Problematik
Die Finanzverwaltung nimmt zu einem Problem Stellung, das auftritt, wenn 2 Sonderregelungen des Umsatzsteuerrechts aufeinander treffen. Grundsätzlich ist der leistende Unternehmer Steuerschuldner für die von ihm ausgeführten steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungen. Insbesondere zur Vereinfachung des Steuererhebungsverfahrens und zur Verhinderung von Steuermissbrauch und Steuerbetrug wird in abschließend geregelten Fällen der Leistungsempfänger zum Steuerschuldner für eine ihm gegenüber ausgeführte steuerbare und steuerpflichtige Leistung (Reverse-Charge-Verfahren). Dabei ist grundsätzlich für die Frage, ob der Leistungsempfänger zum Steuerschuldner wird oder nicht, auf die Verhältnisse im Moment der Ausführung der Leistung abzustellen. Probleme ergaben sich bisher, wenn bei der Vereinnahmung von Anzahlungen andere Verhältnisse vorlagen, als später bei Ausführung der Leistung.
Vereinnahmt ein Unternehmer eine Anzahlung oder Vorauszahlung, entsteht die Umsatzsteuer auch bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten in dem Voranmeldungszeitraum, in dem die Zahlung vereinnahmt worden ist.
Bisher hatte die Finanzverwaltung zu dieser Frage nicht explizit Stellung genommen, es war aber davon auszugehen, dass die Besteuerung auch der schon vereinnahmten Anzahlungen an die zum Zeitpunkt der Ausführung der Leistung geltenden Besteuerungsgrundsätze anzupassen ist.
Die Anweisung des Bundesministeriums der Finanzen
Das BMF-Schreiben ergänzt insbesondere Abschn. 13b.12 Abs. 3 UStAE.
Unter Bezugnahme auf eine recht alte Entscheidung des BFH zur Besteuerung von Anzahlungen bei Zerfall eines Organkreises übernimmt die Finanzverwaltung nun eine Aussage des BFH für die Anzahlungsbesteuerung beim Reverse-Charge-Verfahren. Der BFH hatte in seiner Entscheidung festgestellt, dass die Regelung über die Entstehung der Steuer für vereinnahmte Anzahlungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG einen selbstständigen und abschließenden Steuerentstehungstatbestand enthält.
Die Finanzverwaltung legt jetzt fest, dass der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer schuldet, wenn die Voraussetzungen für die Steuerschuld des Leistungsempfängers im Zeitpunkt der Vereinnahmung der Anzahlungen nicht vorliegen. Erfüllt der Leistungsempfänger dann aber im Zeitpunkt der Leistungserbringung die Voraussetzungen als Steuerschuldner, bleibt die bisherige Besteuerung der Anzahlungen beim leistenden Unternehmer bestehen.
Bauunternehmer B hatte sich verpflichtet, gegenüber Auftraggeber U einen Rohbau für ein neues Verwaltungsgebäude zu errichten. U hatte bisher selbst nur in geringem Umfang Bauleistungen ausgeführt, sodass er von seinem Finanzamt keine Bescheinigung (USt 1 TG) als bauleistender Unternehmer erhalten hatte. B hatte im Oktober 2017 eine Anzahlung von 119.000 EUR erhalten. Aufgrund einer strategischen Neuausrichtung hatte U im Herbst 2017 begonnen, vermehrt weltweit selbst Bauleistungen auszuführen, sodass in 2017 mehr als 10 % seiner weltweit ausgeführten Leistungen Bauleistungen darstellen. Im Januar 2018 hatte er daraufhin bei seinem Finanzamt die Bescheinigung USt 1 TG beantragt und zeitnah erteilt bekommen. Im März 2018 hat B nach Fertigstellung des Rohbaus gegenüber seinem Auftraggeber seine Schlussrechnung gestellt.
B erbringt eine steuerbare und steuerpflichtige Werklieferung an U, für die er grundsätzlich nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG der Steuerschuldner ist. Obwohl die Leistung im Oktober 2017 noch nicht ausgeführt ist, entsteht mit Zufluss der Anzahlung die Umsatzsteuer. B schuldet aus der vereinnahmten Anzahlung gegenüber seinem Finanzamt für Oktober 2017 19.000 EUR. Ab 2018 gilt U als "bauleistender Unternehmer" nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG, da er mindestens 10 % seines weltweit ausgeführten Umsatzes im Bereich von Bauleistungen ausführt. Die Finanzverwaltung hat ihm deshalb zu Recht die Bescheinigung USt 1 TG erteilt. Damit wird U für ihm gegenüber ausgeführte Bauleistungen zum Steuerschuldner. Die Schlussrechnung des B ist deshalb nur über den noch angeforderten Nettobetrag auszustellen, die Umsatzsteuer auf die Netto-Restzahlung ist nicht gesondert auszuweisen. B muss auf den Übergang der Steuerschuldnerschaft hinweisen ("Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers"). Die Anzahlungsrechnung ist aber nicht zu berichtigen, es verbleibt insoweit bei der Steuerschuldnerschaft des B.
Die Grundsätze müssen entsprechend gelten, wenn im Moment des Zahlungsflusses der Anzahlung die Voraussetzungen für die Übertragung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger vorlagen, bei Ausführung der Leistung diese aber entfallen s...