Leitsatz
Führt der Arbeitgeber entgegen § 39c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG den Lohnsteuerabzug trotz Nichtvorliegen der Bescheinigung gem. § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG nicht nach der Steuerklasse VI, sondern nach der Steuerklasse I durch, kann der Arbeitgeber auch nach Ablauf des Kalenderjahrs, für das die Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG gilt, grundsätzlich nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG in Haftung genommen werden.
Normenkette
§ 39c Abs. 1 Satz 1 EStG , § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG , § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG , § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine AG nach polnischem Recht mit Betriebsstätte in Deutschland, führte hier Bauleistungen durch. Anlässlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte das FA fest, dass verschiedene, nach Deutschland entsandte, beschränkt steuerpflichtige polnische Arbeitnehmer keine Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG beim Betriebsstätten-FA beantragt hatten. Auch die Klägerin hatte keinen entsprechenden Antrag gestellt. Gleichwohl hatte die Klägerin den Lohnsteuerabzug nach der Lohnsteuerklasse I vorgenommen.
Das FA berechnete die Lohnsteuer nach der Lohnsteuerklasse VI und erließ insoweit einen Haftungsbescheid. Das FG gab der Klage statt. Trotz des bezeichneten Fehlers könne die Klägerin nicht in Haftung genommen werden. Die Vorschriften der §§ 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG seien lediglich ein Druckmittel zur Erreichung einer ordnungsgemäßen laufenden Besteuerung.
Entscheidung
er BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Eine Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers bestehe auch nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahrs. Wird eine Bescheinigung nicht vorgelegt, muss der Arbeitgeber so verfahren wie bei fehlender Lohnsteuerkarte, also die Steuerklasse VI anwenden. Da vom FG zur Frage keine Feststellungen getroffen worden waren, ob für die Arbeitnehmer Gründe gegeben waren, denen zufolge die Nichtvorlage der Bescheinigung unverschuldet sein konnte, wurde die Sache an das FG zurückverwiesen.
Hinweis
Solange der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte schuldhaft nicht vorlegt oder die Rückgabe der ihm ausgehändigten Lohnsteuerkarte schuldhaft verzögert, hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach der – ungünstigen – Steuerklasse VI zu ermitteln. Diese Bestimmung gilt nach § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer entsprechend; an die Stelle der Lohnsteuerkarte tritt allerdings die Bescheinigung des Betriebsstätten-FA.
Es ist unstreitig, dass das FA den Arbeitgeber während des laufenden Kalenderjahrs wegen der durch die Nichtbeachtung des § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG zu wenig einbehaltenen Lohnsteuer in Anspruch nehmen kann. Es wurde allerdings unter Bezugnahme auf ältere Rechtsprechung des BFH die Meinung vertreten, nach Ablauf des Kalenderjahrs bestehe diese Möglichkeit nicht mehr; die angeführte Vorschrift stelle lediglich ein Druckmittel dar zur Erreichung einer ordnungsgemäßen laufenden Besteuerung mittels Vorlage der Lohnsteuerkarte bzw. der Bescheinigung nach § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG.
Dieser Auffassung ist der BFH jedenfalls für die Rechtslage ab 1975 nicht beigetreten. Der Zweck der Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG liegt auch in der Sicherung der ordnungsgemäßen Besteuerung. Dieser Zweck gebietet indessen eine Anwendung des § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG auch nach Ablauf des Kalenderjahrs, für das die Lohnsteuerkarte (Bescheinigung) gilt.
Zu Recht hat der BFH darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeberhaftung weitgehend ins Leere liefe, sofern § 39c Abs. 1 Satz 1 EStG nach Ablauf des Kalenderjahrs keine Anwendung mehr finden könnte; insbesondere beim Lohnsteuerabzug für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer, bei denen grundsätzlich keine Veranlagung erfolgt, wären dauernde Steuerausfälle zu befürchten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 12.1.2001, VI R 102/98