Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
Die Einkommensteuer und die damit in Zusammenhang stehenden Nebensteuern (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer), welche aufgrund einer durch die Erben nach § 16 Abs. 3b Satz 2 und § 14 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes rückwirkend erklärten Betriebsaufgabe eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes entstehen, können nicht als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in Abzug gebracht werden.
Normenkette
§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, § 14 Abs. 1 Satz 2, § 16 Abs. 3, Abs. 3b Satz 2, § 36 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Die Kläger waren Miterben zu gleichen Teilen nach dem im Jahr 2016 verstorbenen Erblasser (E). E war Inhaber eines verpachteten land‐ und forstwirtschaftlichen (LuF‐)Betriebes. Die Erben erklärten nach dem Tod des E die Aufgabe des LuF-Betriebes auf einen Zeitpunkt vor dem Tod des E unter Inanspruchnahme der Rückwirkung von maximal drei Monaten nach § 16 Abs. 3b Satz 2 EStG. Hierdurch entstand ein Aufgabegewinn gemäß § 16 Abs. 3 EStG i.V.m. § 14 Satz 2 EStG. Das FA setzte die ESt für den VZ 2016 unter Einbeziehung dieses Aufgabegewinns fest. Bei der Festsetzung der ErbSt berücksichtigte es die auf den Aufgabegewinn fallende ESt nicht als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 16.9.2020, 4 K 2701/19, Haufe-Index 14575669).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Grundsätzlich ist die ESt aus der Veranlagung des Erblassers als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vom Erbe abziehbar, was die ErbSt mindert. Der Abzug setzt nicht voraus, dass beim Tod des Erblassers eine rechtliche Verpflichtung bereits bestand, d.h. eine Festsetzung der Steuer bereits durchgeführt worden ist. Es können auch Steuerschulden sich bereicherungsmindernd auswirken, obwohl sie beim Erbfall noch nicht rechtlich entstanden waren. Denn der Erbe hat die Steuerschulden des Erblassers zu tragen.
2. Das für das ErbSt-Recht maßgebliche Stichtagsprinzip steht dem Abzug der Steuerverbindlichkeiten nicht entgegen. Denn bereits zum Zeitpunkt der Steuerentstehung, also beim Tod des Erblassers, steht fest, dass die Belastung kraft Gesetzes mit Ablauf des Todesjahres eintreten wird. Dabei ist grundsätzlich unschädlich, dass zum Zeitpunkt des Erbfalls die Belastung durch Steuerverbindlichkeiten der Höhe nach nicht genau feststeht, weil noch mögliche Wahlrechte ausgeübt werden oder besondere steuerrelevante Ereignisse eintreten können.
3. Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist jedoch, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger die steuerrelevanten Tatbestände verwirklicht.
4. Dies war vorliegend nicht der Fall. Der Erblasser selbst hatte vor seinem Tod keine Aufgabeerklärung i.S.d. § 16 Abs. 3b Satz 2 EStG abgegeben, sodass im Zeitpunkt seines Todes ein LuF-Betrieb auf die Erben überging. Folglich setzte erst die Aufgabeerklärung der Erben die entscheidende Ursache für die rückwirkende Aufgabe des LuF-Betriebes und die hierdurch entstandene ESt. Da die durch die Aufgabeerklärung der Erben begründeten Steuern – trotz der Rückwirkung der Erklärung – nicht vom Erblasser herrühren, ist nicht entscheidungserheblich, dass zum Todeszeitpunkt auch keine wirtschaftliche Belastung des Erblassers vorlag.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.5.2023 – II R 3/21