Prof. Dr. Hans-Friedrich Lange
Leitsatz
1. Ein Kind, an das die Familienkasse das gegenüber seiner kindergeldberechtigten Mutter festgesetzte Kindergeld gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG ausgezahlt hat, ist befugt, sowohl gegen einen gegenüber ihm ergangenen Rückforderungsbescheid als auch gegen einen in diesem Zusammenhang gegenüber seiner Mutter ergangenen Aufhebungsbescheid zu klagen.
2. Vollendet das Kind das 25. Lebensjahr und erreicht damit eine den Anspruch auf Kindergeld ausschließende Altersgrenze, stellt dies eine die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld rechtfertigende Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 70 Abs. 2 EStG dar.
Normenkette
§ 32 Abs. 4, § 67 Satz 2, § 70 Abs. 2 Satz 1, § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 37 Abs. 2 AO, § 40 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der im Juni 1983 geborene Kläger begann im September 2007 eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, die bis zum August 2010 andauern sollte. Auf entsprechende Anträge des Klägers sowie seiner kindergeldberechtigten Mutter setzte die Familienkasse mit Bescheid vom 8.11.2007 für die Zeit ab September 2007 Kindergeld fest und zweigte den gesamten Betrag an den Kläger ab.
Mit an die Mutter des Klägers gerichtetem Bescheid vom 28.6.2010 hob die Familienkasse gestützt auf § 70 Abs. 2 EStG die Kindergeldfestsetzung ab Juli 2008 auf und forderte unter Hinweis auf diesen Bescheid vom Kläger mit "Erstattungsbescheid" vom selben Tag gemäß § 37 Abs. 2 AO das ihm gezahlte Kindergeld für die Zeit von Juli 2008 bis Juni 2010 in Höhe von … EUR zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG könne Kindergeld nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres – im Fall des Klägers also nur bis einschließlich Juni 2008 – gewährt werden; etwaige Verlängerungstatbestände (Ableistung des Grundwehrdienstes bzw. Zivildienstes) lägen nicht vor bzw. seien nicht nachgewiesen worden.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage des Klägers hatte Erfolg (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6.3.2012, 4 K 1484/10, Haufe-Index 2979058, EFG 2012, 1479). Das FG vertrat die Auffassung, als der Kläger sein 25. Lebensjahr vollendete, sei keine Änderung der Verhältnisse i.S. d. § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG eingetreten.
Entscheidung
Die Revision war begründet. Sie führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Der BFH ging zwar davon aus, dass der Kläger auch insoweit klagebefugt war, als er den gegen seine Mutter ergangenen Aufhebungsbescheid angefochten hat.
Aber im Gegensatz zur Auffassung des FG stelle auch das Überschreiten der Altersgrenze – im Streitfall Vollendung des 25. Lebensjahres (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) – eine Änderung der für den Anspruch auf Kindergeld erheblichen Verhältnisse i.S.d. § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG dar. Denn mit Ablauf des Monats Juni 2008, in dem der Kläger sein 25. Lebensjahr vollendete, sei die Kindergeldfestsetzung vom 8.11.2007 nachträglich unrichtig geworden. Fortan war der Kläger gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht mehr als Kind zu berücksichtigen.
Es treffe zwar zu, dass aufgrund des Geburtsdatums eines Kindes das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze von vornherein feststehe und der Behörde bei Erlass des ursprünglichen Bescheids (Bewilligungsbescheids) bekannt sei. Dies ändere aber nichts daran, dass mit dem späteren tatsächlichen Eintritt dieses Ereignisses eine Änderung der für den Kindergeldanspruch maßgeblichen Verhältnisse i.S.d. § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG eintrete.
Hinweis
Nach § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG ist, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, die Festsetzung des Kindergelds mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.12.2014 – XI R 15/12