Leitsatz
Ist eine Steuer, die vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entstanden ist, zu erstatten oder zu vergüten oder in anderer Weise dem Steuerpflichtigen wieder gutzubringen, so stellt der diesbezügliche Anspruch des Steuerpflichtigen eine vor Eröffnung des Verfahrens aufschiebend bedingt begründete Forderung dar, gegen welche die Finanzbehörde im Insolvenzverfahren aufrechnen kann, auch wenn das die Erstattung oder Vergütung auslösende Ereignis selbst erst nach Eröffnung des Verfahrens eintritt.
Dementsprechend kann das FA die Erstattung von GrESt gegen Insolvenzforderungen verrechnen, wenn der Verkäufer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das ihm vorbehaltene Recht zum Rücktritt von einem vor Verfahrenseröffnung geschlossenen Kaufvertrag ausübt.
Normenkette
§ 226 Abs. 1 AO, § 16 GrEStG, § 94, § 95 Abs. 1, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
Sachverhalt
Ein Grundstück war unter Vorbehalt des Rücktritts vom Vertrag bei Zahlungsstockung veräußert worden. Das FA setzte GrESt fest. Diese wurde auch gezahlt. Dann geriet der Käufer in Insolvenz. Der Verkäufer trat deshalb vom Vertrag zurück. Die GrESt war deshalb dem Käufer zu erstatten. Diesen Anspruch setzte das FA auch fest. Zugleich rechnete es aber gegen die Erstattungsforderung mit unbefriedigten Steueransprüchen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf. Hierüber erließ es einen Abrechnungsbescheid.
Entscheidung
Der Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig. Der Aufrechnung steht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht entgegen.
Hinweis
Das FA kann wie jeder Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren auch dann aufrechnen, wenn es den Anspruch des Steuerpflichtigen, gegen den es aufrechnen will, erst während des Insolvenzverfahrens (steuerrechtlich) schuldig geworden ist, die Erstattungsforderung jedoch bereits vor Verfahrenseröffnung aufschiebend bedingt entstanden war. § 95 InsO geht also § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO als Spezialregelung vor.
Wann aber ist ein Anspruch aufschiebend bedingt entstanden? Diese Frage hat die Rechtsprechung für unterschiedliche Ansprüche schon vielfach beschäftigt. Es soll dabei nicht auf das Entstehen im steuerverfahrensrechtlichen Sinn ankommen, sondern nur darauf, ob der Anspruch bereits "im Kern" entstanden ist. Das ist eine (altehrwürdige, aber) dehnbare Formel. Die Besprechungsentscheidung gibt ihr eine neue, klarere Aussage: Erstattungsansprüche gleichen eine vorherige Steuerzahlung aus; ist diese vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet, ist damit auch schon der Kern eines etwaigen späteren Erstattungsanspruchs gelegt, mithin eine Aufrechnungsmöglichkeit noch während eines etwaigen späteren Insolvenzverfahrens gesichert. Auf die steuerverfahrensrechtliche Ausgestaltung des betreffenden Anspruchs – ob als echter Erstattungsanspruch i.S.d. § 37 Abs. 2 AO oder als spezialgesetzlich geregelter Kompensationsanspruch – kommt es nicht an!
Erstattung von GrESt, die aufgrund eines Rücktritts vom Vertrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgelöst worden ist (vgl. § 16 GrEStG), wird das FA folglich steuerverfahrensrechtlich erst nach Verfahrenseröffnung schuldig (vgl. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der diesbezügliche Anspruch ist aber schon vor Verfahrenseröffnung insolvenzrechtlich (aufschiebend bedingt durch den Rücktritt) begründet. Dadurch wird berücksichtigt, dass das Gesetz bereits Rechtsgeschäfte der GrESt unterwirft, die lediglich einen Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG), und dementsprechend die GrESt bereits bei Abschluss eines diesbezüglichen Vertrags festgesetzt wird, ohne dass schon immer feststeht, ob es zum Vollzug dieses Vertrags, d.h. zum Eigentumsübergang auf den Käufer, überhaupt kommen wird. Diesen Eigentumsübergang zu besteuern ist indes der eigentliche Zweck des Gesetzes. Die in § 16 GrEStG vorgesehene Erstattung der Steuer soll die nach Sinn und Zweck der Grunderwerbbesteuerung zu Unrecht erfolgte Besteuerung eines vorherigen Geschäftsvorfalls kompensieren.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.4.2007, VII R 27/06