Kommentar
Im Streitfall hatte ein an Multipler Sklerose Erkrankter bei Krankenhausaufenthalten sowie für Krankengymnasten, Masseure und Ergotherapeuten Trinkgelder aufgewendet. Anders als Finanzamt und Finanzgericht (vgl. FG Köln, Urteil v. 16. 6. 1994, 2 K 598/94, EFG 1994 S. 1049) bejahte der Bundesfinanzhof dem Grund nach die Abziehbarkeit dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung .
Nach Meinung des BFH gehören Trinkgelder , die im Zusammenhang mit der ärztlich angeordneten Behandlung einer Krankheit hingegeben werden, ihrer Art nach zu den unmittelbaren Krankheitskosten .
Wie sonstige Kosten einer Heilbehandlung beruhen solche Kosten darauf, daß der Steuerpflichtige aus tatsächlichen Gründen gezwungen ist, bei einer Erkrankung medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich betreuen zu lassen. Nach Auffassung des BFH handelt es sich bei im Zusammenhang mit einer Erkrankung gewährten Trinkgeldern um zusätzliches Entgelt , zu dem sich der Kranke aufgrund der ihm erbrachten vertragsgemäßen Leistung verpflichtet fühlt und das von dem Leistungsempfänger auch tatsächlich erwartet wird.
Voraussetzung für den Abzug von Trinkgeldern als außergewöhnliche Belastung ist jedoch, daß die Trinkgelder dem Grunde und der Höhe nach angemessen sind und nicht außerhalb des Rahmens des Üblichen liegen. Die Berücksichtigung von Trinkgeldern ist nur auf der Grundlage substantiierter Angaben über die einzelnen Empfänger und die Höhe des ihnen zugewandten Betrages zulässig.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.10.1996, III R 240/94
Anmerkung:
Eine scheinbar großzügige Entscheidung des BFH, die allerdings der Praxis manche Nuß zu knacken geben wird. Von der Prämisse ausgehend, daß bei Trinkgeldern im Zusammenhang mit einer ärztlich angeordneten Behandlung ähnlich wie bei den Krankheitskosten selbst die
Zwangsläufigkeit und Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen
nicht im einzelnen zu prüfen sind, erscheint die vorstehend mitgeteilte Entscheidung plausibel. Es fragt sich jedoch, ob man bei Trinkgeldern, gleichgültig in welchem Zusammenhang sie gewährt werden, wirklich von außergewöhnlichen Aufwendungen sprechen kann, die zwangsläufig erwachsen, und ob hier die gleiche Wertung vertretbar ist wie bei den Krankheitskosten selbst. Außerdem wird der Nachweis des Entstehens und der Höhe der Aufwendungen sowie ihre Angemessenheit im Einzelfall schwer zu führen sein. Denn die formellen Anforderungen, die der BFH stellt, sind klar und eindeutig; insbesondere soll eine Schätzung der Aufwendungen (vgl. § 162 AO ), wie der BFH ausdrücklich entschieden hat, ausgeschlossen sein. Möglicherweise droht hier eine ähnliche Entwicklung wie bei den Diätkosten, deren Anerkennung als außergewöhnliche Belastung schließlich durch ausdrückliche gesetzliche Regelung völlig beseitigt wurde.