FinMin Nordrhein-Westfalen, Erlaß v. 16.11.2010, S 0363
1. Allgemeine Grundsätze
Aussetzungssachen sind Sofortsachen, über die unverzüglich vor allen anderen Sachen zu entscheiden ist (Abschnitt 3.2.3 Abs. 2 FAGO). In Vertretungsfällen entscheidet der Vertreter.
Es ist so zügig zu entscheiden, dass Maßnahmen wie Kontobearbeitungssperren allenfalls ausnahmsweise zu treffen sind.
Voraussetzung für die Aussetzung der Vollziehung ist, dass der Verwaltungsakt bzw. der maßgebliche Grundlagenbescheid angefochten ist.
Für die Aussetzung der Vollziehung genügt ein schlüssiger Sachvortrag. Bei der Bearbeitung ist der gesetzliche Ermessensspielraum im Interesse des Steuerpflichtigen voll auszuschöpfen (AEAO zu § 361 Tz. 2.4). Dies bedeutet nicht, dass Aussetzung auf „Verdacht” zu gewähren ist. Bei der Entscheidung über den Aussetzungsantrag sind die Erfolgsaussichten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einzuschätzen. Die Zweifel, die zur Aussetzung der Vollziehung geführt haben, sind zielstrebig auszuräumen.
Dabei gelten im Aussetzungsverfahren die gleichen Feststellungs- und Beweislastregeln wie im Hauptsacheverfahren. Bestehen auch nach Auswertung der präsenten Beweismittel Unsicherheiten, hat die Abwägung der Erfolgsaussichten daher unter Zugrundelegung der allgemeinen Feststellungs- und Beweislastregeln zu erfolgen. Insofern können Zweifel auch im Aussetzungsverfahren zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, wenn diesen die Feststellungs- und Beweislast trifft. Beispielsweise trägt der Unternehmer auch im Aussetzungsverfahren die Feststellungslast für die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs, so dass sich entsprechende Unsicherheiten zum Nachteil des Steuerpflichtigen auswirken (BFH-Urteil vom 26.8.2004, V B 243/03, BFH/NV 2005 S. 255).
Im Aussetzungsverfahren können nur präsente (d.h. in den Akten vorhandene, gegenwärtige) Beweismittel gewürdigt werden (insbesondere eingereichte Urkunden, aber auch mitgebrachte Zeugen). Allein das Fehlen präsenter Beweismittel rechtfertigt keine Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung. Aus der Natur des Aussetzungsverfahrens als summarischem (Eil-)Verfahren folgt, dass Beweiserhebungen hinsichtlich nicht präsenter Beweismittel allein dem Hauptsacheverfahren vorbehalten sind.
Soweit der Steuerpflichtige im Hauptsacheverfahren weitere Beweismittel, Aufstellungen oder ähnliches beizubringen hat, ist es angebracht, ihm hierfür eine Frist zu setzen und die Unterlagen konkret zu benennen. Hierbei kann ausnahmsweise eine befristete Aussetzung der Vollziehung in Betracht kommen. Sofern der Steuerpflichtige keine beachtlichen Hinderungsgründe vorbringt, bestehen nach ergebnislosem Ablauf der Frist grundsätzlich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit, weil aus der Verletzung der Mitwirkungspflicht im Rahmen der Beweiswürdigung für den Steuerpflichtigen negative Schlüsse gezogen werden können (vgl. im einzelnen Tipke/Kruse, § 90 AO Tz. 7; BFH-Urteil vom 15.2.1989, BStBl 1989 II S. 462). Da der Einspruch in der Regel entscheidungsreif ist, sollte nach fruchtlosem Ablauf der Frist über den Einspruch entschieden werden.
In Schätzungsfällen ist zu prüfen, ob die Schätzungsgrundsätze beachtet sind. Ist dies der Fall, mögen zwar – naturgemäß – Zweifel bestehen, ob die geschätzten Besteuerungsgrundlagen der Höhe nach mit den tatsächlichen Zahlen übereinstimmen. Es bestehen jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Schätzungsbescheides.
Die gewährte Aussetzung der Vollziehung ist bekannt zu geben. Die Aufgabe zur Post ist aktenkundig zu vermerken, weil nur bekannt gegebene Verwaltungsakte mit dem bekannt gegebenen Inhalt Wirkungen entfalten.
Bestehen Zweifel an der wirksamen Bekanntgabe der Aussetzungsverfügung, sind – vor Eintritt der Zahlungsverjährung – verjährungsunterbrechende Maßnahmen zu ergreifen.
Die Aussetzung der Vollziehung ist in der Rechtsbehelfsliste zu vermerken, ebenso ihre Beendigung und die Festsetzung von Aussetzungszinsen.
Durch sorgfältige und gewissenhafte Eintragungen bzw. Bearbeitung und Prüfung ist eine Überwachung der Aussetzung der Vollziehung gewährleistet. Damit ist sichergestellt, dass alle erforderlichen Maßnahmen zeitnah ergriffen und die Gründe zu getroffenen Entscheidungen aktenkundig gemacht werden. Dem Sachgebietsleiter ermöglichen Vordrucke und Listen eine Prüfung der ordnungsgemäßen Abwicklung. Der hierdurch bedingte Arbeitsaufwand muss im Interesse einer effektiven Überwachung, zeitnahen Steuererhebung und Sicherung des Steueranspruchs in Kauf genommen werden. Die Korrektur vermeidbarer Fehler im Arbeitsablauf führt oft zu einem höheren Aufwand an Arbeitszeit (z.B. Eingaben des Steuerpflichtigen, Bereinigen des Kontos oder ähnliches).
Die jährlich vom Rechenzentrum aus dem GEV-Programm zur Verfügung gestellten Überwachungslisten bzw. Prüfhinweise sind zusätzliches Hilfsmittel, um Fälle aufzudecken, in denen trotz ordnungsgemäßer Abwicklung – aus welchen Gründen auch immer – die Aussetzung der Vollziehung im Erhebungskonto nicht zutreffend be...