Die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung sind für alle Rechtsbehelfsverfahren (Einspruch, Klage, Revision) grundsätzlich gleich: Die Vollziehung wird auf Antrag des Steuerpflichtigen ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder die Vollziehung für den Steuerpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Die Finanzbehörde kann auch ohne Antrag die Vollziehung aussetzen. In der Praxis verlangen die Finanzämter für eine Aussetzung indes i. d. R. einen Antrag. Fraglich ist, ob das Finanzamt auch gegen den Willen des Steuerpflichtigen – wegen seines Interesses an der Vermeidung späterer Aussetzungszinsen nach § 237 AO – Aussetzung der Vollziehung anordnen bzw. eine bereits erfolgte Vollziehung aufheben darf. Dies kann dahingestellt bleiben. Denn der Steuerpflichtige hat es selbst in der Hand, Aussetzungszinsen zu vermeiden. So kann er eine (aufgedrängte) Vollziehungsaussetzung durch Tilgung der Steuerschuld beenden. Dadurch endet auch die Verzinsung nach § 237 AO.
Wirtschaftlichkeitsüberlegungen auch bei Aussetzung der Vollziehung
Ob eine Aussetzung der Vollziehung in Frage kommt, sollte sich in erster Linie nach der Liquidität des Steuerpflichtigen und nicht nach der Höhe der Erfolgsaussichten richten. Verfügt er über die nötigen finanziellen Mittel, empfiehlt es sich durchaus, auf den Aussetzungsantrag zu verzichten und die Steuerforderung zu begleichen. So vermeidet er das Risiko hoher Aussetzungszinsen von 0,5 % pro Monat. Abzuwarten ist freilich, ob es in Zukunft bei diesem Risiko bleibt. So hält der VIII. Senat des BFH den gesetzlichen Zinssatz in dieser Höhe ab dem Zeitraum 1.1.2019 für verfassungswidrig. Er hat daher das Bundesverfassungsgericht angerufen.
1.1 Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe vorliegen, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Bescheids sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, ein Erfolg des Steuerpflichtigen muss nicht wahrscheinlicher sein als sein Misserfolg.
Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ergeht in einem summarischen Verfahren. Das bedeutet, dass der Entscheidung nur der Akteninhalt und präsente Beweismittel zugrunde gelegt werden, eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Beweisaufnahme grundsätzlich nicht durchgeführt wird, und dass streitige Rechtsfragen – unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte – nur überschlägig und nicht abschließend entschieden werden.
Ernstliche Zweifel sind grundsätzlich zu bejahen, wenn
- die Behörde bewusst oder unbewusst von einer für den Steuerpflichtigen günstigen Rechtsprechung des BFH abgewichen ist,
- der BFH noch nicht zu der Rechtsfrage Stellung genommen hat und die Finanzgerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten,
- die Gesetzeslage unklar ist, die streitige Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden ist, im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauslegung der Finanzbehörde bestehen und die Finanzverwaltung die Zweifelsfrage in der Vergangenheit nicht einheitlich beurteilt hat,
- eine Rechtsfrage von 2 Senaten des BFH unterschiedlich entschieden worden ist oder widersprüchliche Urteile desselben BFH-Senats vorliegen.
Ernstliche Zweifel sind grundsätzlich zu verneinen, wenn
- der Bescheid der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht und keine gewichtigen Argumente gegen diese Rechtsprechung vorgebracht werden,
- der Rechtsbehelf unzulässig ist.
Ernstliche Zweifel i. S. d. § 69 Abs. 2 und 3 FGO können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein. In diesem Fall kommt nach ständiger Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes eine Aussetzung der Vollziehung nur in Betracht, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegt, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt.
Geht es jedoch um die Vereinbarkeit einzelner Steuerrechtsnormen mit Unionsrecht, ist laut BFH kein besonderes Aussetzungsinteresse erforderlich. In diesem Verfahren ging es um Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer, die der BFH nicht nur unter unions-, sondern auch verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu prüfen hatte.
Besonderheiten gelten, wenn die A...