Leitsatz
1. Die Rechtmäßigkeit von gemäß § 27 Abs. 19 UStG geänderten Umsatzsteuerbescheiden ist ernstlich zweifelhaft (Anschluss an BFH, Beschluss vom 17.12.2015, XI B 84/15).
2. Überdies ist es ernstlich zweifelhaft, ob der in der Person des Bauleistenden nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG entstandene Steueranspruch aufgrund der Verwaltungsanweisung in Abschn. 13b.3 Abs. 10 UStAE entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich geworden ist.
Normenkette
§ 4 Nr. 9 Buchst. a, § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 13b Abs. 2 Satz 2, § 13b Abs. 5 Satz 2, § 17 Abs. 2 Nr. 1, § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG, Art. 90 Abs. 1 EG-RL 112/2006, § 89 Abs. 2, § 164, § 176 AO, § 69 Abs. 3 Satz 1, § 69 Abs. 2 Satz 2, § 128 Abs. 3, § 135 Abs. 1 FGO
Sachverhalt
Ein Bauunternehmer erbrachte Bauleistungen für einen Bauträger. Beide gingen entsprechend der damaligen Weisungslage der Finanzverwaltung von einer Steuerschuldnerschaft des Bauträgers aus. Im Anschluss an ein BFH-Urteil verlangte der Bauträger die Rückgängigmachung der Besteuerung. Dem kam das Finanzamt nach, verlangte nun aber eine Versteuerung der Bauleistungen durch den Bauunternehmer. Gegen die Änderungsbescheide legte der Bauunternehmer Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Das Finanzgericht Düsseldorf (Urteil vom 3.9.2015, 1 V 1659/15 A(U)) lehnte eine Vollziehungsaussetzung ab.
Entscheidung
Der BFH gewährte die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Zwar bestünden an der Steuerschuldnerschaft des Bauunternehmers keine Zweifel. Ernstlich zweifelhaft sei aber, ob zugunsten des Bauunternehmers von einer Berichtigung des von ihm geschuldeten Steuerbetrags entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 UStG auszugehen sei.
Hinweis
1. Die Umsatzbesteuerung der Bauträger erweist sich zunehmend als Leidensgeschichte. Die insoweit bestehenden Probleme ergeben sich aus den Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Steuerschuldners für bauwerksbezogene Leistungen, die Bauunternehmer an Bauträger erbringen, und der Frage, wie im Fall einer unzutreffenden Bestimmung des Steuerschuldners zu verfahren ist.
2. Seit 1. April 2004 (!) ordnet § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG (ursprünglich § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG) eine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für bauwerksbezogene Leistungen an ("Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen"). Die Steuerschuld des Leistungsempfängers setzte personenbezogen bei diesem voraus, dass er Unternehmer oder juristische Person ist (§ 13b Abs. 5 Satz 2 UStG a.F., zuvor § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG a. F). Die Finanzverwaltung schränkte dies dahingehend ein, dass der Leistungsempfänger seinerseits nachhaltig bauwerksbezogene Leistungen erbringt, wofür es auf eine 10 %-Grenze nach Maßgabe eines "Weltumsatzes" ankommen sollte (Abschn. 13b.3 Abs. 2 Satz 1 UStAE a.F. in der Fassung des BMF-Schreibens vom 12.12.2011, BStBl I 2011, 1289).
3. Die Verwaltungsauffassung zur Frage, ob auch Bauträger danach Steuerschuldner sind, war wechselhaft.
a) Zunächst ging die Finanzverwaltung davon aus, dass § 13b UStGauf ausschließlich als Bauträger tätige Unternehmer nicht anzuwenden ist (BMF vom 31.3.2004, BStBl I 2004, 453, Rz. 17).
b) Später vertrat die Verwaltung die Auffassung, dass der Bauträger auch dann Steuerschuldner für die von ihm bezogenen Leistungen ist, wenn er zwar Grundstücke gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStGsteuerfrei liefert, es sich dabei aber um (steuerfreie) Werklieferungen handelt, der Abnehmer der Lieferung dabei aber Einfluss auf die Bauausführung und Baugestaltung nehmen konnte (Abschn. 13b.3 Abs. 8 Satz 4 ff UStAE a.F.).
4. Der BFH folgte der geänderten Verwaltungsauffassung nicht. Im Anschluss an ein von ihm eingeholtes Vorabentscheidungsersuchen, das zum EuGH-Urteil BLV Wohn- und Gewerbebau (EuGH vom 13.12.2012, C-395/11, EU:C:2012:799) führte, ging er davon aus, dass Bauträger nicht § 13b UStG unterliegen.
Der BFH begründete dies mit dem Erfordernis der rechtssicheren Bestimmung des Steuerschuldners. Dem Leistenden, der ohne Anwendung von § 13b UStG Steuerschuldner ist, habe in die für die Nachhaltigkeit beim Bauträger maßgeblichen Verhältnisse (s. oben 2.) keinen Einblick. Er kann auch nicht feststellen, ob der Kunde des Bauträgers auf Bauausführung oder -gestaltung (s. oben 3.b) Einfluss nimmt. Auch nicht optimal, aber vorzugswürdig, da rechtssicherer, sei ein Abstellen darauf, ob der Bauträger die an ihn ausgeführte bauwerksbezogene Leistung seinerseits dazu verwendet, eine derartige Leistung zu erbringen.
Der BFH beanstandete zudem das Fehlen eines wie bei den USt-Id-Nrn. bestehenden Überprüfungsverfahrens zur Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (BFH, Urteil vom 22.8.2013, V R 37/10, BStBl II 2014, 128).
5. Da die Gefahr von Steuerausfällen bei Meinungsverschiedenheiten über die Bestimmung des Steuerschuldners zu hoch ist, entschied sich die Finanzverwaltung dafür, sich dieser Rechtsprechung anzusch...