Leitsatz
Die Vorlage des Niedersächsischen FG an den EuGH, um zu klären, ob die deutsche Mehrfachbelastung von Bauherren mit Grunderwerb- und Umsatzsteuer gegen das gemeinschaftsrechtliche Mehrfachbelastungsverbot verstößt, wirft zahlreiche Fragen in der Praxis auf.
Sachverhalt
Der Urteilsfall betraf eine in der Praxis häufiger vorkommende Fallgestaltung. Ein Ehepaar hat ein Bauunternehmen mit dem Bau eines Einfamilienhauses für 196.544 EUR beauftragt. Dabei wurde der Bauort im Bauvertrag festgelegt, denn die Eheleute haben kurz darauf den Bauplatz für 73.870 EUR erworben. Der Grundstückserwerb erfolgte von einer Grundstücksgesellschaft, an der auch der Gesellschafter-Geschäftsführer des beauftragten Bauunternehmens beteiligt war. Es lag bereits ein Bebauungsplan vor, in welchem das von den Eheleute später beauftragte Bauunternehmen benannt war. Das Finanzamt hat angesichts der Verflechtung und des Zusammenwirkens der beiden Unternehmen auf der Veräußererseite einen einheitlichen Leistungsgegenstand angenommen. Gegenstand des Grunderwerbsvorgangs ist das bebaute Grundstück. Deshalb waren neben den Kosten für den Bauplatzkauf auch die noch anfallenden Baukosten in die Berechnung der GrESt einzubeziehen, sodass GrESt in Höhe von 9.464 EUR festgesetzt wurde.
Entscheidung
Die Steuerfestsetzung durch das Finanzamt entspricht der ständigen Rechtspraxis in Fällen mit einem sog. einheitlichen Vertragswerk. Dies wurde vom Bundesfinanzhof (BFH, Urteil v. 27.10.1999, II R 17/99, BStBl 2000 II S. 34) wie auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss v. 27.12.1991, 2 BvR 72/90, BStBl 1992 II S. 212) so gebilligt.
Allerdings sieht das Niedersächsische Finanzgericht darin einen unzulässigen "Belastungscocktail". Denn die damit eintretende doppelte Steuerbelastung mit GrESt einerseits und USt auf die Bauleistungen andererseits stellt nach Ansicht der Finanzrichter einen Verstoß gegen das Gebot des Art. 401 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (Richtlinie 2006/112 EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem) und seiner Vorgängervorschrift, Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (Richtlinie 77/388 / EWG v. 17.5.1977) dar. Danach sind umsatzsteuerliche Mehrfachbelastungen zu vermeiden.
Eine solche Doppelbelastung wird vom FG darin gesehen, dass es sich bei den besteuerten Bauleistungen zivilrechtlich nicht um einen Grunderwerb handelt. Die Grunderwerbsteuer auf diese Bauleistungen sei deshalb rechtlich als eine zusätzliche "Sonderumsatzsteuer" zu qualifizieren; sie wirke wie eine zusätzliche Umsatzsteuer auf die erbrachten Bauleistungen. Das Niedersächsische Finanzgericht hat deshalb das Klageverfahren ausgesetzt und die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt.
Hinweis
Hier könnte sich eine für die Steuerzahler positive Änderung der Besteuerung des Immobilienerwerbs in Deutschland ergeben. Zwar liegen keine konkreten Zahlen vor, jedoch sind schätzungsweise bis zu 40 % aller Grundstückserwerbe von den Auswirkungen des belastenden steuerrechtlichen Konstrukts des einheitlichen Leistungsgegenstands betroffen. Um eine Besteuerung der Bauleistungen zusätzlich zum Erwerb des unbebauten Grundstücks zu vermeiden, wurden bisher teilweise komplexe Gestaltungsvarianten empfohlen, deren rechtlich wirksame Umsetzung aber im Einzelfall auch misslingen konnte.
Auch ergab sich durch das Rechtsinstitut des einheitlichen Vertragswerks bzw. Leistungsgegenstand eine gewisse Wettbewerbsverzerrung. Um das Tatbestandsmerkmal "Zusammenwirken mehrerer Anbieter auf der Veräußererseite" zu vermeiden, wurde ein Bauvertrag möglichst nicht mit einem Bauunternehmen abgeschlossen, das mit dem Veräußerer des Grund und Bodens zusammenarbeitet.
Für die Praxis lautet der jetzt zwingende Ratschlag:
Grunderwerbsteuerbescheide, in denen angesichts eines angenommenen einheitlichen Leistungsgegenstands auch Bauleistungen mit GrESt besteuert werden, sollten innerhalb der 1-monatigen Rechtsbehelfsfrist mit Einspruch angefochten werden. Die Finanzämter werden angesichts des Vorlagebeschlusses beim EuGH (Az. derzeit noch nicht bekannt) die anhängigen Einspruchsverfahren voraussichtlich auf Antrag nach § 363 Abgabenordnung (AO) ruhenlassen. Soweit bereits ein Klageverfahren läuft, kommt eine Aussetzung nach § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO) in Betracht.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Beschluss vom 02.04.2008, 7 K 333/06