Leitsatz
1. Schuldzinsen gemäß § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG sind nach Maßgabe eines ertragsteuerrechtlich weiten Begriffsverständnisses alle Leistungen, die ein Schuldner für die Überlassung (Nutzung) von Kapital an den Gläubiger zu erbringen hat, und darüber hinaus alle Aufwendungen zur Erlangung oder Sicherung eines Kredits, mithin Kosten, die bei wirtschaftlicher Betrachtung des Vorgangs als Vergütung für die Überlassung von Kapital angesehen werden können (in diesem Sinne bereits BFH-Urteil vom 12.02.2014 – IV R 22/10, BFHE 244, 560, BStBl II 2014, 621, Rz. 19).
2. Provisionen und Gebühren für ein Aval (eine Bürgschaft) zählen jedenfalls dann zu den Schuldzinsen i.S. von § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG, wenn hierdurch die Rückzahlung von Fremdkapital, das dem Schuldner zeitweise zur Nutzung überlassen wurde, gesichert wird.
Normenkette
§ 4 Abs. 4a Satz 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger führt als Einzelunternehmer eine Tankstelle, die er von einem Mineralölunternehmen (A) gepachtet hat. A verpflichtete den Kläger, zur Sicherung aller Forderungen aus der Geschäftsverbindung und der Beistellung des Agenturbestands eine Bankbürgschaft zu stellen, sodass der Kläger mit einer Bank (B) einen "Kreditvertrag für Avalkredite" abschloss. Für den Avalkredit der B musste der Kläger Provisionen und Kontoführungsgebühren zahlen. Die diesbezüglichen Aufwendungen minderten zwar den Gewinn des Klägers, erhöhten aber nach Ansicht des FA die kumulierten Überentnahmen i.S.v. § 4 Abs. 4a Sätze 2 und 3 EStG, da die Provisionen und Kontoführungsgebühren als Schuldzinsen i.S.v. § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG anzusehen seien. Die Klage blieb ohne Erfolg (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26.5.2021, 3 K 199/20, Haufe-Index 14691966, EFG 2021, 2042). Auch das FG qualifizierte die streitgegenständlichen Avalprovisionen als Schuldzinsen gemäß § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG, da sie wirtschaftlich mit Darlehenszinsen vergleichbar seien.
Entscheidung
Weil die rechtliche Würdigung des FG, die an B gezahlten Avalprovisionen und Kontoführungsgebühren seien als Schuldzinsen i.S.v. § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG zu behandeln, nicht von ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getragen war, ist das Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen worden.
Hinweis
1.§ 4 Abs. 4a Satz 1 EStG bestimmt, dass Schuldzinsen nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 der Vorschrift nicht abziehbar sind, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Als Überentnahme versteht das Gesetz den Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen.
2. Der Begriff der Schuldzinsen, den das EStG in seiner aktuellen Fassung neben § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG insbesondere auch in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG verwendet, ist nicht legaldefiniert.
3. Für Zwecke des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 EStG hat die höchstrichterliche Rechtsprechung seit jeher Schuldzinsen nicht in einem zivilrechtlichen – engen – Verständnis i.S.v. § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern wirtschaftlich – und somit weiter – ausgelegt. Schuldzinsen sind danach alle Leistungen in Geld oder Geldeswert, die ein Schuldner für die Überlassung (Nutzung) von Kapital an den Gläubiger zu erbringen hat und darüber hinaus alle Aufwendungen zur Erlangung oder Sicherung eines Kredits, d.h. Kosten, die bei wirtschaftlicher Betrachtung des Vorgangs als Vergütung für die Überlassung von Kapital angesehen werden können. Maßgebend ist die Zweckbestimmung der Aufwendungen, ein Darlehen zu erlangen oder zu sichern, sodass es unerheblich ist, ob diese dem Geldgeber oder einer dritten Person zufließen.
4. Diese ertragsteuerrechtlich weite Auslegung des Schuldzinsenbegriffs ist sowohl nach Auffassung der Finanzverwaltung als auch nach der Rechtsprechung des BFH für Zwecke des § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG zu übernehmen. Hierfür spricht insbesondere das Gebot einer einheitlichen Auslegung nicht legaldefinierter Rechtsbegriffe, die innerhalb desselben Gesetzes mehrfach verwendet werden, zumal sowohl § 4 Abs. 4a als auch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG systematisch als Einkünfteermittlungsvorschriften einzuordnen sind.
5. Wird dem Steuerpflichtigen ein Warenkredit gewährt, den er durch ein Aval gesichert hat, sind nach Maßgabe des weiten ertragsteuerrechtlichen Schuldzinsenbegriffs die entsprechenden Provisionen und Gebühren als Schuldzinsen i.S.v. § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG anzusehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 31.8.2022 – X R 15/21