Leitsatz
1. Ein Mitgliedstaat, der auf der Grundlage von Art. 122 MwStSystRL einen ermäßigten Steuersatz für Lieferungen von Brennholz schafft, kann dessen Anwendungsbereich anhand der KN auf bestimmte Kategorien von Lieferungen von Brennholz begrenzen, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (Folgeentscheidung zum EuGH-Urteil Finanzamt A vom 03.02.2022 – C–515/20, EU:C:2022:73 – Änderung der Rechtsprechung).
2. Daher können Holzhackschnitzel auch dann nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG der Steuersatzermäßigung unterliegen, wenn sie bei richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 122 MwStSystRL Brennholz im Sinne der Warenbeschreibung der Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a zum UStG sind. Dem steht das Fehlen der hierfür erforderlichen zolltariflichen Voraussetzung nicht entgegen, wenn die Holzhackschnitzel und das die zolltarifliche Voraussetzung erfüllende Brennholz austauschbar sind.
Normenkette
§ 12 Abs. 2 Nr. 1, Anlage 2 Nr. 48 Buchst. a UStG, Art. 122 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin lieferte im Jahr 2015 (Streitjahr) sog. Holzhackschnitzel unter den Bezeichnungen "Flokets weiß" (sog. Industriehackschnitzel) und "Flokets natur" (sog. Waldhackschnitzel). Die Industriehackschnitzel bestanden aus dem beim Zerlegen von Baumstämmen anfallenden Sägerestholz, das mittels mit Hackmessern ausgestatteten Häckslern zu Holzhackschnitzeln zerkleinert wurde. Die Waldhackschnitzel wurden aus Wipfelholz oder Schwachholz bei der Waldpflege gewonnen. Das Waldrestholz wurde im Wald mechanisch zerhackt und anschließend von der Klägerin getrocknet. Am 14.12.2015 lieferte die Klägerin Waldhackschnitzel an die Gemeinde A umsatzsteuerpflichtig. Ebenfalls im Dezember 2015 lieferte die Klägerin Industriehackschnitzel an das Pfarramt B umsatzsteuerpflichtig. Außerdem entsorgte die Klägerin für das Pfarramt B die Asche, die bei der Verbrennung der Holzhackschnitzel entstand. Hierfür war kein gesondertes Entgelt zu entrichten. In der USt-Voranmeldung Dezember 2015 wandte die Klägerin den Regelsteuersatz an. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Sprungklage, mit der sie für ihre Leistungen die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes anstrebte. An die Stelle der USt-Voranmeldung für Dezember 2015 trat während des finanzgerichtlichen Verfahrens die nach § 168 AO als Steuerfestsetzung geltende USt-Jahreserklärung der Klägerin für das Streitjahr, die gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens wurde. Das FG gab der Klage in Bezug auf die Lieferung der Holzhackschnitzel statt, wobei die Klage hinsichtlich eines Streitpunkts keinen Erfolg hatte (FG München, Urteil vom 19.12.2017, 2 K 668/16, Haufe-Index 11530420, EFG 2018, 509).
Entscheidung
Im Anschluss an eine Vorabentscheidung durch den EuGH, um die der BFH im Revisionsverfahren ersucht hatte, bestätigte der BFH die Entscheidung der Vorinstanz.
Hinweis
1. Der BFH ändert seine Rechtsprechung. Die Bedeutung dieser Änderung sollte nicht unterschätzt werden. Für den nationalen Gesetzgeber könnte sich die bislang von ihm verneinte Frage stellen, ob es zur Vermeidung unzähliger Rechtsstreitigkeiten nicht vorzugswürdig ist, sich von der detailverliebten Regelungstechnik der Anlage 2 zum UStG zu verabschieden und insbesondere zum menschlichen Verzehr bestimmte Lebensmittel allgemein unter Aufzählung bestimmter hiervon ausgenommener Warengruppen wie etwa Kaviar und Langusten etc. der Steuersatzermäßigung zuzuführen.
2. Maßgebliches Element für die bis heute bestehende Regelungstechnik ist die Bezugnahme auf den Zolltarif (Kombinierte Nomenklatur – KN) in der Anlage 2.
a) Bislang kam der zolltariflichen Einreihung Vorrang gegenüber dem Neutralitätsgrundsatz zu. Der BFH begründete dies damit, dass Gegenstände, die in unterschiedliche Unterpositionen der KN einzureihen sind, bei einer Betrachtung nach dem Neutralitätsgrundsatz als "nicht gleichartig" anzusehen seien, auch wenn sie über einen identischen Anwendungsbereich und Verwendungszweck verfügen und die gleiche Wirkung haben (BFH, Urteil vom 9.2.2006, V R 49/04, BFH/NV 2006, 1236, BStBl II 2006, 694).
b) Hieran war nicht mehr festzuhalten, nachdem der EuGH auf Vorlage durch den BFH entschieden hatte, dass ein Mitgliedstaat, der einen ermäßigten Steuersatz schafft, dessen Anwendungsbereich anhand der KN auf bestimmte Kategorien von Lieferungen (nur) begrenzen kann, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (EuGH, Urteil vom 3.2.2022, C–515/20, Finanzamt A, EU:C:2022:73).
3. Die Folgen dieser geänderten Beurteilung zeigen sich zunächst im konkreten Streitfall. Hier war der BFH bislang davon ausgegangen, dass die Lieferung von Holzhackschnitzel aufgrund der Besonderheiten der Bezugnahme auf die Zolltarifierung in der Spalte 3 der Anlage 2 nicht der Steuersatzermäßigung unterliegt (BFH, Urteil vom 26.6.2018, VII R 47/17, BFH/NV 2018, 1223). Demgegenüber bejaht der BFH hierfür nunmehr die Steuersatzermäßigung.
4. In Bezug auf weitergehende Folg...