Leitsatz
§ 68 AO ist gegenüber § 65 AO als vorrangige Vorschrift zu verstehen. Daher setzt die steuerliche Begünstigung eines Betriebs als Zweckbetrieb gem. § 68 Nr. 3 Alternative 2 AO nicht voraus, dass die von ihm ausgehende Wettbewerbswirkung das zur Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks unvermeidbare Maß nicht übersteigt.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG , § 65 Nrn. 1 bis 3 AO , § 68 Nr. 3 AO
Sachverhalt
Kläger war ein e.V., welcher es sich zur Aufgabe gemacht hat, Lebens- und Arbeitsgemeinschaften für behinderte junge Menschen zu schaffen, zu unterhalten und zu fördern. Es ist unstreitig, dass diese Aufgabenstellung mildtätigen und damit gemeinnützigen Zwecken dient.
Seit 1986 betrieb der Kläger eine (Lohn-)Süßmosterei. Außerdem wurden Säfte verkauft.
Grundlage für die Existenz der Süßmosterei sollte die pädagogisch-therapeutische Ausrichtung der betreuten Behinderten sein.
Die Süßmosterei erzielte in den Jahren 1987 bis 1993 steigende Umsätze zwischen 30.000 DM und 750.000 DM, die Betriebsergebnisse schwankten in diesem Zeitraum zwischen ./. 49.000 DM und 66.000 DM.
Das FA sah in der Mosterei einen steuerpflichtigen, wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb des Klägers, da ein Zweckbetrieb nicht vorliege.
Die hiergegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg (EFG 2002, 739).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf:
Der gemeinnützige e.V. sei gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG i.V.m. § 52 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AO von der KSt befreit. Die Steuerbefreiung sei allerdings ausgeschlossen, soweit der Kläger einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalte (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG, § 64 Abs. 1 AO). Ein solcher werde gem. § 14 AO durch eine selbstständige nachhaltige Tätigkeit begründet, durch die Einnahmen oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgeht; die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nicht erforderlich (§ 14 Satz 2 AO). Die Mosterei des Klägers erfülle diese Kriterien. Die Steuerbefreiung bleibe dennoch erhalten, da die Mosterei einen Zweckbetrieb i.S.d. §§ 65 ff. AO darstelle.
Dabei komme es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 65 AO vorlägen. Denn die Süßmosterei sei als Zweckbetrieb i.S.d. § 68 AO steuerbefreit, der eine vorrangige Spezialvorschrift darstelle. Auch der hiernach qualifiziert begünstigte Betrieb müsse in seiner Gesamtrichtung zwar den gemeinnützigen Zwecken dienen. Jedoch: Er könne und dürfe durchaus in Wettbewerb zu "normalen" Betrieben treten; die tatbestandlichen Erfordernisse des § 65 AO seien insoweit suspendiert.
Hinweis
1. Es geht im Urteilsfall um ein Problem des Gemeinnützigkeitsrechts und hierbei der in diesem Bereich allemal drohenden Wettbewerbsverzerrung zu "normalen" Steuerpflichtigen, in concreto: Einen als mildtätig anerkannten e.V., welcher behinderte Jugendliche beurteilte und in diesem Zusammenhang einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhielt, in dem auch die Behinderten im Rahmen eines "betreuten Arbeitens" eingesetzt wurden. Das war an sich auch steuerlich nicht weiter tragisch, bleibt die Steuerfreiheit gemeinnütziger Körperschaften gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG, § 64 Abs. 1 AO doch unberührt, solange ein derartiger Betrieb ein sog. Zweckbetrieb i.S.d. §§ 65 ff. AO darstellt.
2. § 65 AO legt dazu die Grundsätze fest. Ein Zweckbetrieb ist gegeben, wenn er in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen (Nr. 1), wenn die Zwecke nur durch einen solchen Betrieb erreicht werden können (Nr. 2) und wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlichen Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (Nr. 3).
Davon abgrenzend bestimmt § 68 Nr. 3 AO – und zwar als vorrangige Spezialnorm gegenüber § 65 AO –, dass "auch" Behinderten-Werkstätten (unter näher festgelegten Umständen) "Zweckbetriebe sind". Auf die Erfordernisse des § 65 AO kommt es hierfür, wie der BFH klar herausstellt, an sich nicht (mehr) an. Allerdings dürfen sich auch derartig privilegierte Betriebe der gemeinnützigen Einrichtung nicht "verselbstständigen", indem sie letztlich allgemein am Wirtschaftsleben teilnehmen und in ihrer "Gesamtrichtung" den notwendigen dienenden Bezug zu der gemeinnützigen Einrichtung verlieren. Es gilt, solchen Ausuferungen zu begegnen. Andernfalls wird die steuerliche Gemeinnützigkeit gewissermaßen auf den Kopf gestellt. Ggf. bedarf es deswegen auch der Trennung in steuerbegünstigte und steuerschädliche (Zweck-)Betriebe.
3. Um die besagte "Gesamtrichtung" zu eruieren, muss eine Einzelfallbetrachtung angestellt werden. Heranzuziehen sind Umsätze und Gewinne, die Anzahl der Beschäftigten u.Ä. Das alles muss sich sozusagen im Rahmen halten und ist weitgehend der tatrichterlichen Einschätzung des FG überantwortet.
Nicht erforderlich ist es jedoch – und darin steckt die Kernaussage des Urteils –, dass zugleich die vom Betrieb ausgehende Wettbewerbswirkung das z...