1.1 Inhalt
Rz. 1
§ 256 Satz 1 HGB regelt die handelsrechtliche Zulässigkeit der sog. Verbrauchsfolgeverfahren und ermöglicht damit die vereinfachte Bewertung gleichartiger Vermögensgegenstände (VG) des Vorratsvermögens. Abweichend vom Einzelbewertungsgrundsatz des § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB kann im Vorratsvermögen, in dem eine durchgängige Identifikation der VG infolge komplexer Lagerhaltungs- und Leistungserstellungsprozesse oder aufgrund ihrer physischen Beschaffenheit aufwendig oder gar unmöglich ist, eine Verbrauchsfolge unterstellt werden, die von der tatsächlichen Reihenfolge des Vorratseinsatzes abweichen kann (Verwendungsfiktion). Folglich stellen sowohl der sich ergebende bilanzielle Endbestand als auch der Vorratsverbrauch Schätzwerte dar, deren Ermittlung sich gegenüber der (evtl. möglichen) exakten Wertermittlung arbeitserleichternd sowie zeit- und kostensparend auswirkt. Aufgrund des weiterhin zu beachtenden strengen Niederstwertprinzips (§ 253 Abs. 4 HGB) ist daher stets zu prüfen, ob nicht ein niedrigerer Börsenwert, Marktwert oder beizulegender Wert anzusetzen ist.
Rz. 2
Zur (vereinfachten) Bewertung des Vorratsvermögens kann eine der folgenden zeitlichen Verbrauchsfolgen unterstellt werden, wobei darauf zu achten ist, dass die gewählte Verwendungsfiktion den GoB entspricht:
- Die zuerst angeschafften VG sind zuerst verbraucht (Fifo = first in – first out, "Silo-Prinzip").
- Die zuletzt angeschafften VG sind zuerst verbraucht (Lifo = last in – first out, "Stapel-Prinzip").
Preisorientierte (Hifo = highest in – first out, Lofo = lowest in – first out) oder andere Verbrauchsfiktionen (z. B. Kifo = Konzern in – first out, Kilo = Konzern in – last out) sind unzulässig. Die ergänzende Formulierung in § 256 Satz 1 HGB "oder in einer sonstigen bestimmten Folge" wurde im Zuge des BilMoG gestrichen (zur Begründung vgl. Rz 17).
Rz. 3
Mit § 256 Satz 2 HGB wird die Anwendbarkeit der Inventurvorschriften zur Festbewertung (§ 240 Abs. 3 HGB) und Gruppenbewertung (§ 240 Abs. 4 HGB) auf den handelsrechtlichen Jahresabschluss kodifiziert.
1.2 Anwendungsbereich
Rz. 4
Die Anwendung der Verbrauchsfolgeverfahren i. S. d. § 256 Satz 1 HGB ist auf gleichartige VG des Vorratsvermögens, also gleichartige Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB), unfertige und fertige Erzeugnisse sowie Waren beschränkt; eine Anwendung auf geleistete Anzahlungen scheidet von der Natur der Sache her aus. Die Anwendung auf bestimmte Kapitalanlagen (z. B. Aktien und Investmentanteile) bei VersicherungsUnt und Pensionsfonds ist explizit zugelassen (§ 341b Abs. 2 HGB).
Rz. 5
Für die Festbewertung gem. § 256 Satz 2 i. V. m. § 240 Abs. 3 HGB kommen unter engen Voraussetzungen sowohl VG des Sachanlagevermögens als auch RHB infrage (§ 240 Rz 53). Die Gruppenbewertung gem. § 256 Satz 2 i. V. m. § 240 Abs. 4 HGB ist – wie die Verbrauchsfolgebewertung – zulässig für gleichartige VG des Vorratsvermögens; außerdem können andere gleichartige oder annähernd gleichwertige bewegliche VG und Schulden zusammengefasst bewertet werden (§ 240 Rz 68).
Rz. 6
§ 256 HGB ist als bilanzielle Bewertungsvorschrift des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs des HGB für alle (bilanzierenden) Kaufleute verbindlich. Im Fall erheblicher Abweichungen vom letzten Börsen- und Marktpreis infolge der Anwendung von Verbrauchsfolgeverfahren oder der Gruppenbewertung haben mittelgroße und große KapG gesonderte Anhangangaben gem. § 284 Abs. 2 Nr. 4 HGB zu machen (§ 284 Rz 52 ff.); mit § 341b Abs. 2 und 3 HGB sind besondere Anwendungsvorschriften von VersicherungsUnt und Pensionsfonds zu beachten.
Rz. 7
Die folgende Abb. gibt einen Überblick über die Bewertungsvereinfachungsverfahren nach § 256 HGB.
Rz. 8
Abb. 1: Bewertungsvereinfachungsverfahren nach § 256 HGB
1.3 Normenzusammenhang
Rz. 9
Mit der Anwendung der Bewertungsvereinfachungsverfahren gem. §§ 256 und 240 Abs. 3 und 4 HGB wird vom Einzelbewertungsgrundsatz des § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB abgewichen, wobei der Bilanzierende nach der Wahl der Bewertungsmethode durch das Stetigkeitsgebot des § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB gebunden ist; Abweichungen lässt § 252 Abs. 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen zu. Unabhängig vom Bewertungsverfahren ist stets zu prüfen, ob Abschreibungen oder Zuschreibungen gem. § 253 Abs. 4 und 5 HGB vorzunehmen sind. Bei KapG sind die Anhangangabepflichten gem. § 284 Abs. 2 Nr. 3 und 4 HGB zu beachten, bei VersicherungsUnt und Pensionsfonds die Anwendungsvorschriften des § 341b Abs. 2 und 3 HGB.