2.1 Inventurpflicht (Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 3)
2.1.1 Eröffnungsinventur
Rz. 3
§ 240 Abs. 1 HGB schreibt dem Kfm. vor, zu Beginn seines Handelsgewerbes ein Eröffnungsinventar aufzustellen; das Eröffnungsinventar ist Grundlage für die nach § 242 Abs. 1 HGB aufzustellende Eröffnungsbilanz (§ 242 Rz 3).
Rz. 4
Nach dem Gesetzeswortlaut sind darin Grundstücke, Forderungen, Bargeld, sonstige VG und Schulden des Kfm. mit ihrem Wert zu verzeichnen. Der Gesetzeswortlaut ist unvollständig und die Aufzählung nur beispielhaft (bspw. fehlen Sachanlagen). Aufzuzeichnen sind sämtliche VG und sämtliche Schulden, d. h. alles, was der Kaufmann in sein Betriebsvermögen bei Eröffnung eingelegt hat.
2.1.2 Schlussinventur
Rz. 5
Nach § 240 Abs. 2 Satz 1 HGB hat der Kfm. ein Inventar auch am Ende eines jeden Gj aufzustellen. Das Schlussinventar muss ebenfalls sämtliche vorhandenen VG und Schulden verzeichnen. Zur Frage des Endes des Gj vgl. Rz 44 f. Auch für Zwischenabschlüsse ist grds. eine Zwischeninventur erforderlich, wobei hier mangels Bedeutung der Inventur für die Besteuerung bzw. dem Zweck der Rechnungslegung nach h. M. großzügiger als bei Inventuren auf den Abschlussstichtag mit Schätz- und Vereinfachungsverfahren gearbeitet werden darf, solange dadurch nicht die richtige Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage beeinträchtigt wird.
Rz. 6
Für einige VG bzw. Schulden besteht keine Inventurpflicht bzw. deren Inventurpflicht ist strittig. Dies betrifft
- den Geschäfts- und Firmenwert,
- vor Einführung des BilMoG gebildete Sonderposten mit Rücklageanteil,
- die Rechnungsabgrenzungsposten,
- vor Einführung des BilMoG gebildete Bilanzierungshilfen und
- vor Einführung des BilMoG gebildete Aufwandsrückstellungen.
Die fehlende Inventurpflicht begründet die Literatur damit, dass es sich um rein rechnerische Posten handelt. Damit ergibt sich auch keine Inventurpflicht für die latenten Steuern, da es sich hier um einen rechnerischen Posten handelt. Die Dokumentation von Bewertungseinheiten (§ 254 Rz 48) fällt dagegen nicht in den Bereich der Inventur, da im Regelfall eine Erfassung bereits in der laufenden Buchführung erforderlich ist, soweit nicht eine Zuordnung zur Bewertungseinheit offensichtlich ist und noch bei Aufstellung des Jahresabschlusses erfolgen darf.
Rz. 7
Für selbst geschaffene immaterielle VG des AV lässt § 248 Abs. 2 HGB (§ 248 Rz 10) ein Aktivierungswahlrecht zu. Da es sich nicht um rein rechnerisch ermittelte Posten handelt, besteht bei Aktivierung wegen des Grundsatzes der Ansatzstetigkeit (§ 246 Rz 134) dauerhaft Inventurpflicht; bei Nichtaktivierung entfällt die Inventurpflicht.
Rz. 8
Die Frage, ob eine Inventurpflicht besteht oder nicht, ist nicht etwa nur akademischer Natur; besteht eine Inventur- bzw. Inventarpflicht für einen Posten, sind die engen Fristen (grds. Stichtagsinventur vgl. Rz 16 f., bei Erfüllung der Voraussetzungen vor- oder nachverlegte Stichtagsinventur, § 241 Rz 28) für ihre Erfassung einzuhalten, nicht jedoch die längeren Aufstellungsfristen für den Jahresabschluss bspw. nach §§ 243 Abs. 3, 264 HGB.
2.1.3 Inventurgrundsätze
Rz. 9
§ 240 HGB enthält selbst keine Inventurgrundsätze; die Vorschrift verweist auch nicht ausdrücklich auf die GoB. In der Literatur haben sich jedoch Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur (GoI) herausgebildet.
Rz. 10
Diese Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur (GoI) fordern:
- die Vollständigkeit der Inventur,
- die Richtigkeit der Inventur,
- die Einzelerfassung der Bestände,
- die Nachprüfbarkeit der Inventur.
- Erleichternd gilt auch für Inventur und Inventar der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz.
Rz. 11
Der Grundsatz der Vollständigkeit ergibt sich zum einen aus dem Vollständigkeitsgrundsatz der GoB in § 239 Abs. 2 HGB – aber auch nach § 246 Abs. 1 HGB sind sämtliche VG in den Jahresabschluss aufzunehmen. Der Grundsatz der Vollständigkeit verlangt, dass alle inventurpflichtigen VG und Schulden im Rahmen der Inventur erfasst werden. Der Kfm. muss deshalb sein internes Kontrollsystem so ausgestalten, dass durch die Inventur eine vollständige Erfassung aller VG und Schulden sichergestellt ist.
Rz. 12
Die Richtigkeit der Inventur erfordert, dass
- der VG seiner Art nach zutreffend erfasst wird,
- die Menge durch Zählen, Messen und Wiegen ggf. unter Anwendung von Schätz- und Stichprobenverfahren zuverlässig erfasst wird; dabei sind insb. Doppelzählungen zu vermeiden,
- bewertungsrelevante Umstände vollständig und zutreffend erfasst werden (bspw. Schäden, Qualitätsstufe, nutzlose Überbestände, technisch überholte Bestände oder unbrauchbare Bestände).
Rz. 13
Der Grundsatz der Einzelerfassung erfordert grds. die Erfassung jedes einzelnen vorhandenen VG bzw. jeder einzelnen vorhandenen Schuld. Dies ergibt sich aus dem Einzelbewertungsgrundsatz des § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB. Das Gesetz lässt folgende Ausnahmen vom Grundsatz der Einzelerfassung zu:
- Ansatz zum Festwert (Rz 52 ff.),
- die Gruppenbewertung (Rz 67 ff.),
- die Stichprobeninvent...