2.1 Vorlagepflicht (Abs. 1 Satz 1)

 

Rz. 11

Die Vorschrift verpflichtet die gesetzlichen Vertreter der prüfungspflichtigen Ges., dem Abschlussprüfer den zu prüfenden Jahresabschluss und Lagebericht unverzüglich vorzulegen. Die unverzügliche Vorlage, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), gründet auf der Vorstellung, dass zunächst die gesetzlichen Vertreter Jahresabschluss und Lagebericht aufstellen und erst dann der Abschlussprüfer mit seiner Prüfung beginnt. Diese eher "klassische Sichtweise" ist in der Praxis oftmals nicht mehr anzutreffen.

 

Rz. 12

Die Komplexität der Rechnungslegung für den Jahresabschluss und Konzernabschluss, verbunden mit dem zunehmenden Termindruck (fast close) bei Abschlusserstellung und -prüfung, haben zu einer zeitlichen Überlappung von Erstellung und Prüfung geführt, sodass im Zuge der Abschlussprüfung von den gesetzlichen Vertretern vorgelegte Unterlagen auch bis zum Abschluss der Abschlussprüfung wieder geändert werden können. Hier wird die Korrektivfunktion des Abschlussprüfers deutlich, der bei der Abschlussprüfung festgestellte Fehler, die von der geprüften Ges. berichtigt werden, nicht in sein Prüfungsurteil einzubeziehen hat.[1]

 
Praxis-Beispiel

Der Abschlussprüfer der prüfungspflichtigen GmbH stellt während der Abschlussprüfung fest, dass für einen laufenden Rechtsstreit keine Rückstellung gebildet worden ist, obwohl nach seinen Feststellungen eine Rückstellung nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB geboten ist.

Nachdem der Abschlussprüfer dem Geschäftsführer der GmbH diese Feststellung mitgeteilt hat, entscheidet der Geschäftsführer, den Jahresabschluss zu ändern und eine Rückstellung für den Rechtsstreit (sowie die gebotenen Folgeänderungen, z. B. Steuerrückstellung, Tantiemeaufwand) in den Jahresabschluss aufzunehmen. Da der endgültige geprüfte Jahresabschluss den festgestellten Fehler nicht mehr enthält, hat der Abschlussprüfer keine Auswirkungen auf den Bestätigungsvermerk zu berücksichtigen.

 

Rz. 13

§ 320 Abs. 2 Satz 2 HGB stellt die gesetzliche Grundlage dieser Korrektivfunktion des Abschlussprüfers dar, da hiermit dem Abschlussprüfer auch schon vor Aufstellung des Jahresabschlusses die Auskunftsrechte zugestanden werden (Rz 23).

[1] Vgl. IDW PS 400.52.

2.2 Auskunftsrechte

2.2.1 Prüfungsrecht (Abs. 1 Satz 2)

 

Rz. 14

Die Vorschrift gibt dem Abschlussprüfer das Recht zur Prüfung der Bücher und Schriften der zu prüfenden Ges. sowie der VG und Schulden. Da § 317 Abs. 1 HGB den Abschlussprüfer verpflichtet, den Jahresabschluss nicht nur auf formale, sondern auch auf materielle Richtigkeit zu prüfen (§ 317 Rz 28), müssen ihm neben den prüfungspflichtigen Unterlagen selbst (Jahresabschluss und Lagebericht) auch die diesen zugrunde liegenden Aufzeichnungen zugänglich sein.

 

Rz. 15

Abs. 1 Satz 2 ist umfassend auszulegen. Der Abschlussprüfer kann Zugang zu sämtlichen Unterlagen der zu prüfenden Ges. verlangen; die im Gesetz vorgenommene Aufzählung von VG ist als beispielhaft zu verstehen.[1] Da der Abschlussprüfer eine Prüfung durchführt, gewährt ihm das Prüfungsrecht die Durchführung aller dafür von ihm als notwendig erachteten Prüfungshandlungen, z. B.

  • Einsichtnahme,
  • Inaugenscheinnahme (z. B. Zutritt zu den Geschäftsräumen des zu prüfenden Unt, Inaugenscheinnahme von durchgeführten Investitionen in das Sachanlagevermögen),
  • Beobachtung (z. B. der Vorratsinventur),
  • Berechnung,
  • Nachvollziehen.
 

Rz. 16

Welche Aufzeichnungen für die Prüfung des Jahresabschlusses und Lagebericht vorgelegt werden müssen bzw. sollen, liegt im Ermessen des Abschlussprüfers, nicht etwa der gesetzlichen Vertreter der zu prüfenden Ges.

 
Praxis-Beispiel

Der Abschlussprüfer der prüfungspflichtigen GmbH fordert Einblick in die Reisekostenabrechnungen des Geschäftsführers. Der kaufmännische Leiter möchte die Reisekostenabrechnungen nicht vorlegen, da sie nach seiner Ansicht nicht wesentlich für die Prüfung des Jahresabschlusses und Lageberichts sind.

Es liegt ein Verstoß gegen das Prüfungsrecht nach § 320 Abs. 1 Satz 2 HGB vor. Der Abschlussprüfer kann von dem Geschäftsführer die Vorlage der Reisekostenabrechnungen fordern. Kommt der Geschäftsführer dieser Aufforderung nicht nach, liegt ein Prüfungshemmnis vor, das ggf. Auswirkungen auf den Bestätigungsvermerk haben kann.

 

Rz. 17

Der im Gesetzestext angeführte Begriff Bücher umfasst neben dem Grund- und Hauptbuch auch sämtliche Nebenbücher der Buchführung, also z. B. auch die Betriebsbuchhaltung (Kostenrechnung, Kalkulation) und andere Aufzeichnungen (zum Begriff der Bücher vgl. § 238 Rz 43). Unter den Begriff fallen auch Arbeitsanweisungen und andere Organisationsunterlagen, da diese für eine Aufbau- und Funktionsprüfung des rechnungslegungsbezogenen IKS unerlässlich sind.[2] Da die Bücher regelmäßig in großem Umfang elektronisch geführt werden, sind von dem Begriff auch die Prüfung der verwendeten EDV-Systeme sowie erforderliche Maßnahmen zur Lesbarmachung von Daten erfasst.

 

Rz. 18

Der zeitliche Umfang der vorzulegenden Bücher ist nicht nur auf das zu prüfende Gj beschränkt. Vielmehr darf der Abschlussprüfer auch die Vorjahresbücher einsehen und hat glei...

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